Cyber-Bijou Nr.12 (Juli 97)
Inhalt:
Zum 1.Bayerischen Bi-Wochenende an der Donau (Mai 1997)
Raus aus den Kneipen (München: Café Glück / Regensburg: Einhorn / Nürnberg: Deep Voice) und rein in die schöne Natur - solcherart Ortswechsel drängt sich in Bayern, dem Land der Biergärten, regelrecht auf. Diesmal waren es fünf RegensburgerIn-nen, die eingeladen hatten ins schöne Donautal bei Bad Abbach zum ersten gemeinsamen Treffen im Freistaat. Es wurde ein echt "griabiges" Wochenende mit sechzehn Frauen (leider in der Minderheit) und Männern. Jetzt nach Pfingsten.
Vorausgegangen waren, so hieß es, schon einige Besuche der Regensburger in München und Nürnberg (umgekehrt habe das allerdings noch nie so recht geklappt) obwohl mit Klaus-Peter anscheinend doch einer immer mal wieder zum "Kurier" zwischen Alt- und Oberbayern wird. Bei anderen Gelegenheiten, wie etwa dem Münchner Wassertantra von Max oder dem Schwul-Lesbischen Chorfestival in München sei aber auch sonst schon so manches zarte innerbayerische Band geknüpft worden, jetzt aber habe man doch mal aufs Ganze gehen wollen.
Donauaufwärts bei Regensburg war auch bald eine schöne AV-Hütte (AV, wie - richtig - Alpenverein) gefunden, die hoch im Fels über dem Fluß hängt. Mit einem DB-Sammelticket haben vier MünchnerInnen die immerhin 11/2 Zugstunden nordwärts ins finstere Altbayern überwunden. Daß dennoch letztlich auch sieben Nürnberger von Westen dazu kamen, muß man fast einen glücklichen Umstand nennen, denn die Wunden einer Ex-Partnerschaft können, wie sich zeigte, leider als Riß auch durch die Nürnberger Gruppe gehen. Jedenfalls, so hieß es, hätten die Regensburger Organisatoren wirklich bis zuletzt gezittert. So hatte man sich zunächst auch nur eine Übernachtung vorgenommen.
Nachdem dann alle Einkäufe getätigt waren, hieß es erst einmal, die den Berg hochzuschaffen. Das galt selbst für das Wasser zum Zähneputzen. Mit dem Bier war das wohl noch mit am einfachsten: wie in Bayern durchaus üblich, beschaffte man das "Hausbier" gleich um die Ecke aus der örtlichen Dorf-Brauerei. Nachdem einige noch vom Bahnhof abgeholt waren, konnte es losgehen am Berg. Unten am Fluß quakten erwartungsvoll die Frösche.
Über dem Berg, auf einer wunderschönen Höhenwiese, gab's Körpertheater mit Fritz und Anregungen zur Massage von Premani in schöner Natur auch so manch zärtliche Berührung. Hie und da hat man dann sogar dicke Faune durch die Wiesen stieben sehen. Der glückliche Umstand, daß wir schließlich doch noch eine leibhaftige Schlachterin unter uns hatten, ließ am Samstag das Grillen zum wahren Fest werden (Dank Dir Marianne!). Auch Lieder gabs zu Fackeln und zu Bertholds Gitarre bis um fünf Uhr früh. Dann hatten wir unweigerlich die örtliche Nachtigall angelockt: ab da hieß es dann dem Vogel lauschen. Bennos Versuch "Love is our message", die Hymne des Schwul-Lesbischen Chorfestivals, einzustudieren, mit der am Wochenende zuvor der Münchner Gasteig erbrauste, schlug einstweilen mangels Sangesmut noch fehl - trotz dieses wunderschönen Liedes.
Am Sonntag früh versammelten sich sieben NürnbergerInnen, vier MünchnerInnen und fünf OberpfälzerInnen nicht nur zur gemeinsamen Zeckenjagd auf unserer Sonnenwiese (allerdings noch ganz benommen von einem künftig zu eliminierenden Elite-Schnarcher aus einer oberpfälzer Spezialeinheit). Dort waren dann die "Wortanteile" dieses letztlich nur einen ganzen Tages am höchsten: angeregt von einem Gesellschaftsspiel namens "Therapy" konnte jede/r die ihr/ihm wichtigste Frage stellen. Heuer waren es ganze zwei: "Was ist für Dich der Unterschied zwischen Sex mit Männern und mit Frauen ?" und "Wo beginnt bei Dir Intimität ?" (Ab hier wurde dann der Berichterstatter zum unbedingten Stillschweigen verpflichtet...).
Mit ein bißchen Glück sieht sich die muntere Bayern-Fraktion noch in diesem Jahr an einem der oberbayerischen Seen mit Alpenpanorama wieder - bei einer deftigen Wollwurst (das sei auch so eine spezielle Weißwurst) und in Hirschledernen. Dann, sollen zumindest aber alle ExilbayerInnen (die sich u.a. ja auch im Berliner BiNe-Vorstand versteckt halten sollen) herzlich eingeladen werden. Vive la décentralisation!
Benno
oder: Norddeutsches Bi-Treffen in Iffens
Da die halbe Bremer Bi- Gruppe im letzten Herbst zum Treffen in Rotenburg angerückt war und mit überwiegend positiven Erfahrungen und einem Haufen Telefonnummern (und ich sogar mit einem neuen Kosenamen) im Gepäck zurück in den Heimathafen gedampft ist, kam bei uns der Wunsch nach so einer Art Regionaltreffen für bisexuelle Fischköppe auf. Ein in Richtung Hamburg gestarteter Versuchsballon ergab wohlwollendes Interesse und somit genügend potentielle TeilnehmerInnen. Da Thomas geradezu nervtötend motiviert war, hatten wir auch schnell jemanden gefunden, der die Organisation in die Hand nahm. Irgend jemand findet sich immer, der so eine leichte SM- Veranlagung mit ganz großem "M" hat, dafür dann aber auch sehr überzeugend über den entsetzlichen Streß jammern darf, den das alles macht!
Irgend jemand hatte was von einer Öko-Station in Iffens gehört. Es sollte da ausreichend Betten, Gruppenräume für Workshops und sogar eine Sauna geben. Iffens ist ein winziges Kaff am Jadebusen mit - na ja, sagen wir mal: etwas herbem Charme und einem Haufen Natur drum herum. Die Öko-Station war vom 31.1. bis zum 2.2. für kleines Geld zu kriegen und wurde umgehend gebucht.
Thomas hat dann gelernt zu delegieren und wir haben ein Programm entworfen mit dem Ergebnis, daß wir kein Programm anbieten werden, sondern spontan sein wollen. Dann wurden Einladungen verschickt, Fahrgemeinschaften gebildet und Teilneh-merInnengebühren eingesammelt. Unsere Schatzmeisterin Astrid hat dabei die verblüffende Erfahrung gemacht, daß einige Leute zwar Geld überwiesen haben, aber - wohl aus für meinen Geschmack völlig überzogenen datenschutzrechtlichen Befürchtungen - ihren Namen auf dem Überweisungsformular weggelassen haben.
Ohne da jetzt einem Zwangs-Outing das Wort reden zu wollen: Ihr erspart den OrganisatorInnen solcher Veranstaltungen einen Haufen Arbeit, wenn der Name mit auf der Überweisung steht. Außerdem hat mir mein Kumpel im erzbischöflichen Ordinariat versprochen, die Namenslisten wirklich vertraulich zu behandeln!
Tja, die Teilnehmerliste wurde tatsächlich voll, mein schwarzes Bluesmobil wurde am Freitag mit Klamotten, einem Grundbedarf an grünen 0,33l- Flaschen (die Geschichte spielt in Norddeutschland!) und netten Bisexuellen bepackt und los ging's!
Die Ankunft in Iffens hatte ein bißchen was von Haribo-Goldbärchen: Kaum ist es da, schon ist es weg, will heißen, im ersten Anlauf sind wir durchgefahren, ohne es zu merken. Beim zweiten Versuch hat's dann aber geklappt und wir sind in der Öko-Station gelandet. Da es bereits zappenduster war, konnten wir das Drumherum nicht so recht wahrnehmen und uns ganz auf die nach und nach eintrudelnden Teilnehme-rInnen und das Haus konzentrieren.
Die Öko-Station (ein altes Bauernhaus) erwies sich als sehr öko, was sich besonders im äußerst zurückhaltenden Umgang mit Heizenergie, Putzmitteln und Staubsaugern ausdrückte. Die reichlich für Workshops vorhandenen Räume hatten den kleinen Nachteil, auf dem nicht kälteisolierten Dachboden zu liegen und zeichneten sich durch fehlende Heizung aus. Da Dauerfrost im zweistelligen Bereich herrschte, hemmte uns das ein ganz klein bißchen in unserer Entfaltung. Außerdem hatten die Hauskatzen auf dem Dachboden an strategisch wichtigen Stellen Tretminen verlegt.
Da die Sauna in einem ähnlich, ääääh, rustikalen Zustand war und einige Badematten und Sitzauflagen dort den Eindruck machten, als ob sich in ihnen inzwischen eine ziemlich komplexe Zivilisation von Kleinstlebewesen gebildet hätte, wurde auch dieser Programmpunkt gestrichen. Als belesene Leute haben wir dann zitiert, was in großen, beruhigenden Buchstaben auf dem Einband des erstaunlichsten Reiseführers des Universums steht: KEINE PANIK!
Unser Programm, kein Programm zu haben, spielte in dieser Situation gnadenlos seine Stärke aus: Rund um den riesigen Tisch im einigermaßen beheizten Tagesraum traf man sich, redete, spielte, blödelte usw. Nachdem der notwendige organisatorische Kram geregelt war - da es ein Selbstversorgerhaus war, mußte eine Einkaufsliste gemacht und jemand gefunden werden, der/die uns bekocht (SaBiNe, heirate mich!) - wurde der Abend dann noch recht nett.
Der Sonnabend begann für die größten Ansammlung von Bisexuellen, die jemals in der bewegten Geschichte von Iffens (der letzte Missionar landete 1856 im Kochtopf) gesichtet wurden, schweinekalt und neblig. Rotnasig an der Wattkante entlangmarschierend und immer mit der Angst vor Strandräubern im Nacken, bestaunten wir das dick vereiste Watt. Bi sein heißt Neues wagen, wir wagten uns also auf die Eisschollen. Wie das denn so ist, wenn man vorwitzig von ausgetretenen Pfaden abweicht: Manchmal bricht man ein. War das `ne Sauerei!
Nett war's trotzdem und man kam sich mal wieder ein bißchen näher. Der Tag verging sehr angenehm, im Tagesraum hatte sich ein großer, offener Gesprächskreis gebildet, in dem alle möglichen Themen abgehandelt wurden. Auf mich hinterließ noch bleibenden Eindruck, daß Hartmut auf dem anderthalb Meter langen Ding von Thomas blasen durfte und ihm dabei wirklich seltsame Töne entlockt hat. Thomas durfte dann auch mal auf dem etwas kleineren und dünneren von Hartmut. Didgeridoos sind schon seltsame Instrumente. Abends gab's dann eine improvisierte Fete mit Musik aus dem Gettoblaster und Spaß bis in die Nacht.
Am Sonntag ging's dann an die Heimreise und es kam nach der Abschlußrunde (die Kritiken fielen überwiegend positiv aus) den ganzen Vormittag über zu den auf Bi-Treffen üblichen ergreifenden Abschiedsszenen.
Da jetzt möglicherweise in der geneigten Leserschaft die Frage auftaucht: Hat die Oberschwester etwa als Kind nicht genug Aufsätze Marke "Mein schönstes Ferienerlebnis" geschrieben oder was? kommt noch ein bißchen was Pädagogisches hinterher: Schaffen wir zwei, drei viele Regionaltreffen! (Che, vergib mir!) Es war mit Sicherheit nicht das letzte Treffen der Bremer Bi-Gruppe. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß kleinere Treffen auf regionaler Ebene eine tolle Möglichkeit sind, bestehende Kontakte zu vertiefen, neue Kontakte zu knüpfen und die nach wie vor recht kleine Bi-Szene enger zu vernetzen. Ein großes Programm, das auf Bundestreffen notwendig ist, muß nicht sein. Wer will, kann ja was anbieten, aber die großen Freiräume, die durch das Minimalprogramm entstanden, wurden überwiegend als angenehm empfunden. Der Arbeitsaufwand für die Organisation hält sich in einem überschaubaren Rahmen, wenn die Arbeit auf mehrere Leute verteilt wird und die sich dann eigenverantwortlich um ihren Kram kümmern. Ganz wichtig: Es ist eine sehr, sehr schlechte Idee, die Tagungsstätte zu buchen, ohne sie persönlich genau unter die Lupe genommen zu haben. Uns passiert das jedenfalls kein zweites Mal.
So, nun plant mal schön und schickt mir Eure Einladungen!
Eure Oberschwester Frank
was sagt eine Bi-Frau dazu?
Schwule und Lesben fordern seit geraumer Zeit Gleichberechtigung mit Heteros. Die am stärksten in die Öffentlichkeit gedrungene Forderung dabei ist jene nach dem Recht auf Eheschließung. Vera Naumann hat gute Gründe gegen diese Forderung und macht als Anregung zur Diskussion unter Bi's alternative Vorschläge.
Die sogenannte "Homo-Ehe" lehne ich als Bisexuelle nicht nur ab, weil mich der Begriff "homo" nicht bezeichnet, sondern aus einer Vielzahl von Gründen. Zunächst kann ich der Argumentation folgen, die auch der Lesbenring angibt, z. B. daß die Registrierung lesbischer und schwuler Partnerschaften die Fortführung der patriarchalen Institution Ehe bedeutet. Daran liegt mir nichts. Als kurzfristigen Schritt kann ich die Politk gut verstehen, und ich glaube auch, daß sie kurzfristig Erfolg bringt. Das genügt mir aber nicht.
Gegen die Ehe (nicht nur von Lesben und Schwulen) bin ich aus ganz anderen Gründen, die ich im Folgenden gerne erläutern möchte.
1. Partnerschaften nicht auf zwei Personen beschränken
Monogamie halte ich für antiquiert. Die Ehe, und das gälte auch für die Lesben- oder Schwulen-Ehe, ist ihrem Ursprung und Wesen ein Garantievertrag auf sexuelle Exklusivität zweier Partner/innen. Verweigerung von sexuellem Verkehr und außerehelicher sexueller Verkehr waren bzw. sind Scheidungsgründe. Ich bin neuerdings ein sehr eifersüchtiger Mensch und trotzdem überzeugt, daß sich Treue im Sinne von sexueller Exklusivität nur über persönliche Loyalität absichern läßt. In Eheverträgen und Listen für Scheidungsgründe Sexualität mitzumeinen, finde ich pervers. Liebe als Gefühl kann ich auch nicht einfordern, wozu also Sex bzw. Enthaltsamkeit vertraglich einklagbar machen? Und warum zwischen zwei Personen und nicht zwischen mehreren?
2. Partnerschaftsverträge auf Zeit oder mit Kündingung
Legalisierte Ehe-Partnerschaften werden mit dem Anspruch eingegangen, diese Partnerschaft für einen längeren Zeitraum oder lebenslang aufrecht zu erhalten. Die Scheidungsrate belehrt uns aber eines besseren. "Ehe" als Institution halte ich nicht für die zeitgemäße Art eines Beziehungs-Vertrags im bürgerlichen Recht, soll doch der Ehe-Vertrag sowieso nur den Zugriff auf Rechte, Pflichten und Vermögen sichern. Einen Partnerschaftsvertrag zu entwerfen, der ähnlich einer GmbH oder GbR aufgebaut ist und alle erstrebenswerten Rechte (und Pflichten) einschließt, erscheint mir sinnvoller. Klauseln zur Kündigung oder zum Erlöschen des Vertrags sind hier mit eingeschlossen. Dabei wären auch Verträge zwischen mehreren Personen möglich. Trotzdem halte ich Partnerschaftsverträge immer noch für eine Krücke - siehe 3.
3. Versorgungsgemeinschaften absichern, nicht Liebesbeziehungen
Mein wichtigster Ablehnungsgrund der sogenannten "Homo-Ehe" ist mein Bestreben, nicht Liebesbeziehungen gesetzlich anzuerkennen und vor allem abzusichern, sondern Versorgungsgemeinschaften.
Das hat zunächst steuerliche Folgen: Wenn eine Frau, die mit ihrem Einkommen andere Menschen versorgt, z. B. ihre Freundin, ihr Kind, ihre in Ausbildung befindliche einkommenslose Schwester und ihre im Haushalt lebende gebrechliche Tante, dann greift es viel zu kurz, lesbisches Ehegatten-Splitting einzuführen. Vielmehr sollte bei jeder Lebensgemeinschaft - übrigens auch bei getrennten Wohnungen! - geprüft werden, wieviele Menschen von wessen Einkommen leben, und das ist dann die Grundlage, um das zu versteuernde Einkommen zu berechnen. Natürlich geschieht das unabhängig vom Verwandtschaftsgrad oder von Liebesbeziehungen.
Versorgungsgemeinschaften ziehen bekanntlich für den Fall der Trennung Ansprüche nach sich. Hier kann, entsprechend dem geltenden Scheidungsrecht, auch ein Recht für Versorgungsgemeinschaften mehrerer Personen entworfen werden.
Das Erbrecht muß völlig neu gefaßt werden. Es ist sowieso ein Witz, daß das Erbrecht des BGB immer noch gilt, während Familien aus geschiedenen oder verwitweten Partnerschaften längst schon private Erbverträge abschließen. Mein Großvater, der nach sieben Jahren als Witwer im hohen Alter von 79 Jahren zum zweiten Mal geheiratet hat, schloß mit seiner zweiten Frau eine Reihe von Verträgen zur Versorgung, Absicherung und über seine Erbschaft, so daß bei seinem traurigen Tod letztes Jahr kaum Regelungsbedarf bestand.
Das Zeugnisverweigerungsrecht im Straffall, das bisher für Ehepartner und nächste Angehörige gilt, ist völlig auf die heterosexuelle Kernfamilie bezogen: Mutter, Vater, in erster Ehe jungfräulich verheiratet, alle Kinder gemeinsam gezeugt und keine weiteren, gemeinsam lebend. Diese Konstellation ist der Ausnahmefall. Wäre das Zeugnisverweigerungsrecht auf Versorgungsgemeinschaften und nahe Angehörige bezogen, dann würde den realen Beziehungen mehr Beachtung geschenkt. Dasselbe gilt für Vertretungsansprüche, z. B. bei Schul- und Ausbildungsangelegenheiten von Kindern (die übrigens grundsätzlich auch per Vollmacht geregelt sein könnten, ähnlich wie bei der Eröffnung eines Bankkontos: Wer ist zeichnungsberechtigt?) oder für das Besuchsrecht bei Krankenhaus- oder Gefängnisaufenthalten.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Gemeinsam ist den neu zu schaffenden Regelungen, daß die tatsächlichen Lebensverhältnisse der Menschen berücksichtigt werden und nicht die heterosexistisch-ideologisch gewünschten. Ausgangspunkt aller Regelungen ist immer die aktuell existierende Versorgungsgemeinschaft.
Natürlich zieht das einen Rattenschwanz anderer Möglichkeiten zum Steuernsparen und Gesetze ausnützen nach sich. Das ist aber nicht typisch für jedwede neue Regelung, sondern ein grundlegendes Kennzeichen von Gesetzen. Mit Gesetzen kann die Wirklichkeit immer nur als Schema abgebildet und verwaltet werden. Das wird sie jetzt auch schon. Aber zu ungunsten von Lesben, Schwulen und auch Bisexuellen.
Vera Naumann
Wie geht es weiter mit dem BiNe ?
Beim vorletzten bundesweiten Bi-Treffen in Butzbach war ca. jedeR TeilnehmerIn aus Berlin (16 von 55). Ist dieses massive Auftreten der lokalen Gattung homo bisexus berlinicus irgendwie plausibel? Nun, auf den ersten Blick sicher nicht. Am Berliner Stammtisch nehmen regelmäßig nicht mehr Leute teil als etwa in München oder Frankfurt. Der zweite Blick sucht die BiNe-Mitglieder-Liste und entdeckt: ca. 25 Mitglieder in Berlin, aber nur 5 in München und 4 in Frankfurt. Oder ein anderer Vergleich: Stuttgart hat etwa halb soviele Mitglieder wie Dessau! (Weiß jernand, wo Dessau liegt?). Die genauere Betrachtung der Verhältnisse zeigt aber, daß der homo bisexus berlinicus nur eine Spielart der Gattung homo bisexus erectus ist, jener Spezies, die den aufrechten Bi-Gang erprobt (das ist die ungewöhnliche Art, auf zwei (2!) Beinen zu gehen, ohne rot zu werden). Offensichtlich nimmt die Neigung zum öffentlichen Bekenntnis und zum gesellschaftlichen Engagement nicht allerorten gleichmäßig zu. Das ist schade, aber sicher nur langfristig zu ändern, eben dadurch, daß zumindest einige Flagge zeigen.
WEGBEREITER oder MITLÄUFER
Andererseits: manchmal erreichen uns Briefe / Statements, aus denen hervorgeht daß BiNe für eine berliner Lokal-Gruppe gehalten wird und andere Städte etwas ähnliches aufbauen sollten!?! Offensichtlich ist es uns nicht gelungen, unseren Anspruch (Vernetzung!) bekannt zu machen, geschweige denn, ihn umzusetzen. Wie ist es möglich, daß Bi-Gruppen in verschiedenen Städten mit "dem Verein" nichts zu tun haben wollen, aber unsere Logistik gerne beanspruchen? Wer, um Gottes Willen, ist denn "der Verein"? Es gibt offensichtlich ein doppeltes Kommunikationsproblem: 1) der BiNe-Vorstand in Berlin erfährt kaum, was in anderen Städten so alles passiert und 2) die Cruppen in den Bundesländern haben keine Vorstellung davon, welche Arbeit der Vorstand bewältigt und wie dies die Regionalgruppen langfristig unterstützt. Wer außer den Mitgliedern, die in Butzbach dabei waren, hat wohl den Tätigkeitsbericht des letzten Vorstands wirklich zur Kenntnis genommen?
AKTIVISTEN oder TRITTBRETTFAHRER
Aber ich möchte mehr über die Berliner Szene berichten - auffällig scheint mir, daß eine Vielzahl von Aktionen und Veranstaltungen hier getragen werden von einem Kreis aktiver Leute, die auch auf privater Ebene freundschaftliche Kontakte pflegen. (in Butzbach machte das Wort vom "berliner Rudel" die Runde). So haben sich hier Strukturen gebildet, die von gemeinschaftlicher Zielsetzung und gegenseitiger Unterstützung geprägt sind. Aus dem Stammtisch-Kreis ergab sich die Idee (und die notwendigen Aktivitäten) eine Bi-Disco zu organisieren ( "Bisco" ). Das läuft seit Januar 96 einmal pro Monat und mit gutem Erfolg: ca. 80-130 TeilnehmerInnen. Der Preis dafür ist natürlich, daß ein Dutzend Aktive ihre Freizeit dafür opfern. Zwei- bis dreimal im Jahr gibt es den privaten Kaffe-Klatsch "Bi-Back". Zuletzt im Oktober 96 mit 45 TeilnehmerInnen. Zur bi-sinnlichen Adventsfeier kamen 25 Gäste. Es gibt eine Massagegruppe für Bi-Männer, eine für Bi-Frauen und demnächst auch eine für beide Geschlechter gemeinsam. Ein wesentlicher Dreh- und Angelpunkt sind die Selbsterfahrungsgruppen, die seit ca. 3 Jahren mit wöchentlichen Treffen laufen und aus versprengten Einzelkämpfern Teile einer großen Familie machen.
Daneben gibt es noch die Bi-Frauen-Tanzabende und Bi-Frauen-Spiele+Gesellig-keits-Abende vom Frida-Frauen-Zentrum, einen Gesprächskreis vom Sonntags-Club e.V., die regelmäßigen Workshops zur bisexuellen Identitätsfindung des zBI und zu guter Letzt noch eine Bi-Sylvester-Feier. Im Aufbau ist das englischsprachige Bi-Literatur-Archiv "BELL". (Ihr Einheimischen schlagt mich bitte nicht, wenn ich etwas übersehen habe).
PRODUZENTEN oder KONSUMENTEN
Durch diese vielen geselligen Kontakte verbunden, konnte aus dem ehemaligen IBIS-orgaTeam eine neue Gruppe erwachsen, die sich als Unterstützungsgruppe für den Vorstand versteht: "offbeat" = offenes BiNe-Aktions-Team. Und so hoffen wir, mit neuer Kraft nette Aktivitäten starten zu können, zum CSD 97, zum schwul-lesbischen Motzstraßenfest usw. So wollen wir im Sommer 97 die BiNe-AnsprechpartnerInnen, GruppenleiterInnen, Stammtisch-OrganisatorInnen und andere AktivistInnen zu einem Wochenend-Trip nach Berlin einladen, mit vielen Workshops, Diskussionen, Bisco, u.v.a.m. Vielleicht springt dann der Funke über und es wird klarer, wieviel Spaß es macht, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. So, daß sich auch in den anderen Bundesländern vermehrt größere Gruppen zusammentun, um eine bunte Vielfalt von Aktionen und Veranstaltungen zu kreieren. Mein Vorschlag (müßte auf einer Mitglieder-Versammlung mal diskutiert werden: jede Orts- oder Regional-Gruppe mit einer Mindestzahl an Mitgliedern (z.B. 10) bekommt einen Teil der von Ihnen gezahlten Vereinsbeiträge z.B. 20%) als eigenen Etat für lokale Aktivitäten.
SOLIDARITÄT oder SCHMAROTZERTUM
A pro pos Vereinbeiträge: Viele Menschen haben In den letzten Jahren in ihren Coming out- oder Identitäts-Krisen die Unterstützung des Vereins in Form von Infos, Beratungen, Veranstaltungen und (Geselligkeit in Anspruch genommen. Haben sie sich stabilisiert und ihren Weg gefunden, vergessen sie leider, daß diese Unterstützung finanziert wurde von den Mitgliedern, die ihrerseits ihren Weg schon lange gefunden haben. Warum kommen so wenige auf die Idee, die weitere Arbeit von BiNe durch eine Fördermitgliedschaft zu sichern! Könnte die Frage: "was kriege ich für meine Beiträge an Vorteilen?" nicht ersetzt werden durch "wie kann Ich mich erkenntlich zeigen für das, was ich an Hilfestellungen bekommen habe?" Ich hin neugierig, was ihr von diesen Ideen haltet. Schreibt mir doch einfach ein paar Zeilen. Eure Vorstellungen, Wünsche, Kritik, Glückwünsche oder Liebeserklärungen!
Liebe Grüße
Jürgen Höhn
BiNe-Trip ist die neue Bettenbörse und ReisepartnerInnenvermittlung des Bisexuellen Netzwerkes. Außerdem ist geplant, Euch auch Bi-AnsprechpartnerInnen im Ausland zu vermitteln. Wenn Du eine Übernachtungsmöglichkeit anbieten möchtest und/oder eine/n ReisepartnerIn suchst (oder mehrere), dann fülle bitte das folgende Formular aus und sende es mir zu.
Wer eine Übernachtungsmöglichkeit sucht, meldet sich bei mir schriftlich oder telefonisch (keine Angst vor Anrufbeantwortern). Bei erfolgreicher Vermittlung wird eine kleine Kostendeckungsgebühr von 10 DM fällig, und zwar für den/die Suchende/n bei der Bettenbörse und bei der ReisepartnerInnenvermittlung für die zusammengeführten Personen.
"Du wirst doch wohl keine Drogen nehmen!? Datt höart sich ja so nach Hasch oder so'n Gedeh an, woll?"
So, oder so ähnlich könnte sich die Reaktion eines unbedarften Sauerländers bzw. einer echten Sauerländerin (bekanntlich wilder und schöner als die hiesigen Kühe) anhören, wenn sie/er von unserer neuen Bettenbörse und Reisepartnervermittlung hört oder liest.
Damit Ihr Euch nicht die gleichen Fragen stellen müßt und andere über die Bedeutung von BiNe-Trip aufklären könnt, möchte ich hier kurz niederschreiben, worum es eigentlich geht.
Wie bereits erwähnt, ist BiNe-Trip die Bettenbörse und Reisepartnervermittlung des Bisexuellen Netzwerkes. Vorbild sind die schwulen Bettenbörsen, die auch reichlich genutzt werden, und nicht nur durch schwule Männer! Dies sollte es auch für die lieben Bi-Mitmenschen geben, hat sich der neue Vorstand gedacht und hatte wohl auch direkt diesen enthusiastischen Neu-Beisitzer aus dem Sauerland ins Visier genommen. Also wurde ich gefragt und - ich habe ja gesagt und konnte bei meinem Antrittsbesuch im winterlichen Berlin bereits ein kleines Konzept vorlegen. (An dieser Stelle bedanke ich mich ganz, ganz lieb bei meinem Ex-Bärchen für die Hilfe und vor allem die Geduld, die er dabei mit mir hatte.)
Auf dem Konzeptseminar in Fohrde sollte ich dann eigentlich als BiNe-Trip-Organisator vertreten sein, aber an diesem Wochenende verweilte ich mit Bärchen in einem 5-Sterne-Hotel in Lissabon auf Kosten der Firma E-Plus-Service. So stellte ich mein ausgearbeitetes Konzept Anfang April auf einer vollständig (!) besetzten Vorstandssitzung vor. Dort wurde dann auch der in harter Arbeit ausgebrütete Name "BiNe-Trip", für OK befunden. Und somit hatte das Kind einen Namen, und wurde am 11. Mai in Butzbach dem staunenden Publikum vorgestellt.
Auf der vorigen Seite seht ihr den wunderschönen BiNe-Trip-Fragebogen, und ich hoffe, daß mir bald ganz viele Briefe mit säuberlich ausgefüllten Fragebögen ins Haus flattern. Da freut sich nicht nur die Deutsche Post AG, sondern auch ich wäre ganz happy.
Und nun zur Vorgehensweise:
Wenn Du einfach nur ein Bett (oder zwei oder drei) zur Verfügung stellen willst, dann fülle den Fragebogen einfach aus und ab die Post an mich mit dem Teil. Falls Du eine/n ReisepartnerIn (oder zwei oder drei oder...) suchst, ebenfalls ausfüllen und ratzfatz zu mir. Dann hoffe ich mit Hilfe von Bijou für Dich eine/n oder mehrere Mitreisende/n zu finden. Bei geglückter Vermittlung erhalte ich dann pro Person 10 DM als kleinen Kosten-deckungsbeitrag.
An dieser Stelle gleich der erste Reisepartnersuchende:
Carsten, 28, Raucher, sucht ein paar nette Leute für eine mehrtägige Fahrad-tour.
So, und nun zu den Schlafplatzsuchenden. Du wolltest schon immer nach Bielefeld und kennst dort niemanden? Dann fülle den Fragebogen aus oder viel einfacher, ruf' mich an. Dann sehe ich mal schnell in meiner Datei nach und mit etwas Glück finde ich auch jemanden mit einem freien Bettchen. Diese Person rufe ich dann an und frage nach, ob es zu dem gewünschten Zeitpunkt überhaupt passend ist und gebe diesem lieben Menschen dann Deine Telefonnummer, damit er sich mit Dir in Verbindung setzen kann. Ich werden keine Telefonnummern von "Bettenspendern" herausgeben! Wenn die Vermittlung erfolgreich war, erhalte ich wieder 10 DM von der/dem Schlafplatzsuchenden.
Noch Fragen?? Dann ruft mich einfach an. Mein Anrufbeantworter ist ganz begierig auf Eure netten Stimmchen.
Kleiner Appell: wer ein Bett sucht, sollte bitte auch eines anbieten (wenn möglich).
Volker
Naomi Tucker mit Liz Highleyman und Rebecca Kaplan (Hg.): Bisexual Politics. Theories, Queries, & Visions.
Wie zahlreiche Titelgeschichten in der Presse und Berichte im Fernsehen beweisen, hat das Thema "Bisexualität" derzeit auch in Deutschland Hochkonjunktur. Selbst aufrechte monosexuelle Sexualforscher, die vor zwanzig Jahren noch rundheraus bestritten, daß es so etwas wie Bisexualität überhaupt gibt, zeigen sich mittlerweile geneigt, die Existenz dieses Schmuddelkindes unter den sexuellen Orientierungen zu konzedieren.
Die Bisexuellen selbst sind indes den Kinderschuhen bereits entwachsen. Nach einigen zu Beginn der neunziger Jahre im englischsprachigen Raum publizierten Anthologien, die überwiegend autobiographische und Selbstverständigungstexte enthielten, erschien nun unter der Federführung der langjährigen Bi-Aktivistin Naomi Tucker ein Sammelband von 35 programmatischen und politischen Aufsätzen, die überwiegend von Frauen verfaßt wurden. Es handelt sich nicht um ein theoretisches Buch, sondern um ein Panoptikum von Ideen und Meinungen, "die sich sowohl ergänzen als widersprechen" (S. 5).
Dies wird schon an die Rekonstruktion der Bewegungsgeschichte deutlich. Nach Amanda Udis-Kessler läßt sich "die bisexuelle Geschichte, die über weite Strecken mit der Geschichte der bisexuellen Frauen identisch ist, durch Entwicklungeninnerhalb des Feminismus erklären" (S. 19). Während die frühen Radikalfeministinnen den Lesbianismus noch als Rückzug ins Private ablehnten, hatte sich das Verhältnis Ende der siebziger Jahre umgekehrt, und die Wahl der Sexualpartnerin war zur politischen Gretchenfrage geworden: "Der Feminismus ist die Theorie, der Lesbianismus ist die Praxis." Feministische Politik wurde an eine sexuelle Identität gebunden, und radikale Frauenkultur verengte sich auf eine "lesbisch-feministische Monokultur" (S. 22). Zu Beginn der achtziger Jahre jedoch begannen eine ganze Reihe von Aktivistinnen die von Lesben und Schwulen kultivierte Identitätspolitik auf sich selbst anzuwenden und ihre bislang verheimlichten, da politisch unerwünschten Beziehungen zu Männern publik zu machen. Es war die Geburtsstunde eines bisexuellen Feminismus, der bis heute die amerikanische Bisexuellen-Bewegung maßgeblich prägt.
Die Männer, die sich in den siebziger Jahren als bisexuell definierten, kamen demgegenüber, wie Stephen Donaldson ausführt, überwiegend aus dem Umfeld der "sexuellen Revolution". Es ging ihnen um "freie Liebe" und die Abschaffung jeder Form von Zwangssexualität - eine Programmatik, die sich "nicht wie die ausschließliche Homosexualität in ein abgegrenztes, stigmatisiertes und daher handhabbares Getto verbannen" ließ (S. 40). Aufgrund seiner "amorphen Eigenschaften und seiner Tendenz zur Einschließlichkeit stellte das bisexuelle Bewußtsein die dualistischen und ausgrenzenden Denkmuster in Frage, an denen sowohl die Meinungsführer der Schwulenbewegung als auch deren Gegner hartnäckig festhielten" (ebd.). Nichtsdestoweniger hatten die wenigen Bisexuellengruppen jener Jahre bei weitem nicht den gleichen Zulauf und nicht annähernd die gleiche politische Bedeutung wie schwule und lesbische Organisationen. Der inzwischen verstorbene AIDS-Aktivist David Lourea konstatiert nüchtern: "So schrecklich es ist, ich glaube, daß die Bisexualität erst durch AIDS aus der Verborgenheit ans Licht kam" (S. 54). Mit der zunehmenden Arrivierung und dem wachsenden Konsumismus namentlich der homosexuellen Männer einher ging der Verzicht auf die frühen emanzipatorischen und gesellschaftverändernden Postulate, als deren Erben sich Bisexuelle und Queers heutzutage verstehen.
In einem der theoretisch anspruchsvollsten Aufsätze des Bandes versucht Liz Highleyman, den Unterschied zwischen essentialistischer "Identitätspolitik" und sozialkonstruktionistischer "Ideenpolitik" herauszuarbeiten. "Identitätspolitik beruht auf Unterdrückung und Marginalisierung. Mitglieder nichtmarginalisierter Gruppen organisieren sich für gewöhnlich nicht aufgrund von Identitätsmerkmalen und erwarten auch nicht, daß solche Merkmale den Grund für gemeinsames politisches Handeln legen." (S. 75) Die Anhänger der Identitätspolitik neigten zu einem essentialistischen Verständnis sowohl ihrer selbst ("wir sind so geboren") als auch anderer Gruppen, zur Intoleranz gegen abweichende Überzeugungen und Verhaltensweisen in den eigenen Reihen, messen Etiketten oft mehr Wert bei als der lebendigen Vielfalt der Menschen und tendierten dazu, ihre Opferrolle zu perpetuieren. Während für Elizabeth Armstrong "die Aufnahme und Anerkennung in den lesbischen und schwulen Gemeinschaften" (S. 200) nach wie vor eines der wichtigsten politischen Ziele der organisierten Bisexuellen ist, votiert Highleyman für eine Verabschiedung von der sexuellen Identitätspolitik und für die Gründung "einer breiten Befreiungsbewegung, die alle sexuellen und geschlechtlichen Minoritäten mit einschließt" (S. 88). Im Zentrum einer solchen Bewegung müsse eine "radikale, auf freier Wahl beruhende, konsensorientierte, sexualitätsfreundliche, die Vielfalt begrüßende Ideologie" stehen und "keine bestimmte merkmalsgebundene Identität" (S. 89).
Den radikalsten ExponentInnen unter den Bisexuellen geht es nicht um die Etablierung einer neuen, dritten Identitätsschublade, sondern um die Überwindung der Dichotomien homo/hetero und männlich/weiblich. Einer der wichtigsten Aspekte der Bisexuellen-Bewegung besteht daher in dem Bemühen, der erwachsenen Sexualität sowohl ihre Vielfalt zurückzugeben ("Die meisten Menschen haben sehr komplizierte sexuelle Identitäten, wenn man ihnen nur die Möglichkeit läßt zu erkunden, was sie für sich selbst empfinden und wen und was sie begehren"; Robin Sweeney, S. 183) als auch ihre Wandelbarkeit und Dynamik ("Nach [unserem] Verständnis von Sexualität befinden sich Menschen, wie alles andere im Universum auch, in einem anhaltenden Prozeß der Veränderung"; Nishanga Bliss, S. 258).
Greta Christina bemüht sich in einem sehr persönlichen Plädoyer, die Konturen dessen zu schärfen, was man als bisexuelle Identität bezeichnen könnte. Für sie sieht die Seele von Bisexuellen keineswegs aus wie "Berlin vor dem Mauerfall": "Ich bin keine Hetera, wenn ich mit Männern zusammen bin, und keine Lesbe mit Frauen. Bisexualität ist eine ganzheitliche und einzigartige sexuelle Identität, eine ganz eigene Lebensweise, die sich sowohl von Hetero- wie von Homosexualität unterscheidet" (S. 161). Ihre erotischen Erfahrungen mit Frauen und Männern weisen durchaus unterschiedliche Qualitäten auf, die sich wechselseitig befruchten und herkömmliche Rollenvorgaben untergraben. Die für Monosexuelle charakteristische Zweiteilung des Universums in "ein Geschlecht, mit dem man bumst, und ein Geschlecht, mit dem man nicht bumst" (S. 163), sei das emotionale und soziale Koordinatensystem, in dem "Sexismus, Machtdynamiken und kulturelle und sprachliche Unterschiede zwischen männlich und weiblich" reproduziert würden (S. 164).
Wenn es ein Charakteristikum bisexueller politischer Programmatik gibt, so vielleicht am ehesten ihr Integrationismus - die Vorstellung, daß sich unterschiedliche Diskriminierungen wechselseitig bedingen, und der Kampf gegen Homophobie, Sexualfeindlichkeit, AIDS-Stigmatisierungen, Rassenhaß und verschiedene andere Formen der Unterdrückung nur mit vereinten Kräften zum Erfolg führen kann.
Es gibt jedoch auch Kontrapunkte. Tamara Bowen macht in ihrem Plädoyer für den Vorrang einer feministischen Politik überzeugend geltend, daß schwule Männer nicht nur aufgrund ihrer sexuellen Orientierung unterdrückt werden, sondern "weil sie als eine Bedrohung der Vorherrschaft der Männer über die Frauen angesehen werden" (S.100). Die tatsächlichen Lebens- und Arbeitsverhältnisse von Frauen sind nach wie vor weit von jeder Gleichstellung entfernt. Frauen müssen nicht lesbisch sein, um auf der Straße oder am Arbeitsplatz von Männern belästigt und angegriffen zu werden, während umgekehrt Männer nicht nur deswegen als "Tunten" verprügelt werden, weil sie männliche Liebhaber haben, sondern weil sie durch ihr "einfühlendes, nichtgewalttätiges, nichtsexistisches" Verhalten die männliche Dominanz an sich in Frage stellen (S. 102). Indem Lesben und bisexuelle Frauen ihr politisches Handeln auf ihre sexuelle Orientierung gründen statt auf ihr Geschlecht, indem sie Seite an Seite mit Schwulen gegen "Heterosexismus" kämpfen statt gegen die Vorherrschaft der Männer (auch innerhalb des "Queer Movement"), werden nach Bowens Ansicht die wesentlichen Unterdrückungsmechanismen verkannt.
Auch wenn manche Texte und manche Kontroversen von einem für europäische Ohren etwas befremdlichen und ermüdenden Willen zur politischen Korrektheit geprägt sind (Wer ist das Opfer größerer Unterdrückung? Wer besitzt die größeren Privilegien?) und es einigen AutorInnen manchmal an analytischer Schärfe und einem Bewußtsein für die historischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bisexueller Emanzipation fehlt, ist Bisexual Politics doch alles in allem ein spannender und aufmüpfiger Reader.
Robin Cackett (Berlin)
(zuerst erschienen in 'Zeitschrift für Sexualforschung 9/96')
Mitte März fand ein Bi-Frauen-Wochenende in einem Schloß statt. Eingeladen hatten eine Schloßbewohnerin und deren stuttgarter Mitstreiterin.
Ich hatte mich lange darauf gefreut, mich mal wieder nur mit Bi-Frauen zu treffen, denn das letzte Wochenende nur für Bi-Frauen war schon einige Ewigkeiten her. Mit gemischten Gefühlen reiste ich an: einmal dachte ich, so aufregend, anregend, wie ein `gemischtes' Bi-Treffen kann das gar nicht werden, dann wiederum wußte ich auch, was bzw. wer mich erwartet: mit besagter Schloßbewohnerin war ich bereits erfolgreich auf Tuchfühlung gegangen, und meine Freundin reiste ebenfalls Richtung Schloß, nicht ganz nebensächlich mich zu treffen. Das konnte spannend werden! Mit einem kräftigen Durchatmer fuhr ich in den imposanten Burghof. Für eine Scharade, Tragödie oder Drama war die richtige Kulisse in perfekter Weise vorhanden. Die beiden Organisatorinnen hatten bereits liebevoll Trunk, Speisen und Zimmer für uns vorbereitet. Zum Abendmahl in gemütlich-intimer Runde trafen sich die Frauen, es waren derer 13. Ein gutes Omen! Anschließend gab es noch eine Kennenlern- und Gesprächsrunde. Nicht ganz früh teilten meine Freundin und ich das Bett im äußersten Westflügel. Morgens, nach dem opulentem Frühstück beratschlagten wir im runden Turmzimmer, wie und dann wann wir die Zeit miteinander verbringen wollten. Wir trafen uns zu Gesprächen, Essen, Spaziergängen, Vorlesen und Massage. Das heißt, eigentlich wurde während der Massage vorgelesen. Das war zuerst eine schwierige Situation, denn ich fühlte mich durchaus recht stark hin- und hergezogen zwischen Freundin und `Schloßherrin'. Also wählte ich die Mitte und fragte eine andere Frau, ob ich sie massieren dürfe. Jedoch wollte sie nicht massiert werden, aber mich massieren. Da ich selbst selten in den Genuß einer Massage komme, stimmte ich freudig zu. Ich legte mich also entspannt auf den Boden und fühlte ihre sanften Hände Über meinen Rücken streichen. Nach einer Weile veränderte sich der Händegriff und ich brauchte etwas Zeit und Logik, um wahrzunehmen, daß sich da vier Hände auf meinem Rücken befanden. Meine Entspannung war grenzenlos, machte aber schlagartig Erregung Platz, als ich aufgefordert wurde mich auf den Rücken zu drehen und sich das Streicheln auf meine Brüste ausdehnte und das Liebkosen durch zarten Zungenschlag steigerte. Nach geraumen Zuwendungen bemerkte ich ein weiteres Händepaar, das mich berührte und ich war fassungslos und überglücklich, was ich genießen durfte. Zwischen sehnsüchtigem Stöhnen hauchte ich `Marmelade' und wurde kurz danach mit selbiger eingeschmiert und wieder sanft abgeleckt. Das war so ein intensives Gefühl, das mich nah dem Höhepunkt brachte. Ich war tief berührt. Lange, schier endlos schien es zu dauern. Doch irgendwann schaltete sich Verstand ein und mahnte vor öffentlichem Orgasmus. Also tat ich was getan werden mußte und ging allein unter die Dusche. Als ich wieder zurückkam lächelten mich meine beiden Favoritinnen wissend an und ich war erleichtert, daß sie mir den Höhen-Tiefflug unmißlich, vielleicht etwas neidvoll gönnten. Durch dieses außergewöhnliche Erlebnis fühlte ich mich stark verbunden mit den anderen Frauen, dem Schloß und dem Universum. Am nächsten Tag hielt dieses Gefühl trotz Abschied-und Abreisestimmung immer noch sehr an. Einstweilen ließ ich die `Schloßherrin' zurück und fuhr mit meiner Freundin zu mir nach Hause. Dort angekommen bemerkte mein Mann freudig, daß er mich noch nie so energievoll, gutgelaunt und ausgeglichen nach einem Bi-Treffen gesehen hätte. Ich freue mich ganz arg auf das nächste Bi-Frauen-Treffen und danke ganz, ganz herzlich den Frauen vom Bi-Frauen-Wochenende im Schloß und besonders H.+V.+R.+S.+A.
Vivian