Cyber-Bijou Nr. 10 (Januar 97)
Inhalt:
Was, schon wieder eine Bijou? Da war doch gerade erst eine gekommen ... Ja, peinlich, peinlich - die technische Erstellung der Oktober-Ausgabe hat leider so viele Stolpersteine überwinden müssen, daß die meisten LeserInnen erst Mitte November in den Genuß jenes Heftes kamen. Tut uns leid, aber Ihr merkt halt auch daran, wie mühsam es eben ist, mit ein paar wenigen Leuten solche Projekte auf die Beine zu stellen. Interessante Artikel sammeln bzw. schrei ben, das ganze im Computer setzen bzw. dann das Heft in eine lesefreundliche Form bringen, den Drucker um eilige Produktion bitten, dann hunderte von Heften eintüten - und vieles mehr.
Aber nun haltet Ihr - hoffentlich diesmal im Zeitplan - das Heft 10 in der Hand, und wir hoffen, es ist auch diesmal wieder das eine oder andere drin, was Euch interessiert. Über positive oder auch kritisch-negative Kritik würden wir uns gewi ß freuen!!!
Tja , und so ist nun ein ereignisreiches Jahr beendet, und der krönende Abschluß ist sicherlich der nebenstehende Bericht darüber, daß es mit dem Bisexuellen Netzwerk BiNe e.V. weitergehen wird.
Außerdem haben wir (nicht nur) in diesem Zusammenhang so viele aufmunternde Bemerkungen über bijou bekommen, daß wir uns auf die künftige Entwicklung der Zeitschrift freuen können.
Auch werden immer wieder mal interessante neue Ideen in unserem Bi-Szenchen ans Licht gehoben (BiNe im Internet??), und so bleibt zu hoffen, daß das kommende Jahr ebenso spannend wird wie das vergangene.
Das Redaktionsteam jedenfalls hat seinen/ihren Spaß, und wo immer Ihr seid und was immer Ihr tut: keine Sorge, das nächste Bi-Treffen kommt bestimmt.
Alles Liebe
Thomas & Heiner
Der bisherige Vorstand des Bisexuellen Netzwerks tritt ... Ende dieses Jahres zurück. Wenn sich bis zur Mitgliederversammlung im November keine NachfolgerInnen finden, werden wir als letzte Amtstat die BiNe auflösen müssen," fürchtete Robin noch in unserer letzten Ausgabe. Inzwischen fand die Versammlung statt, und 'Tusch, hurra!': es gibt einen neuen Vorstand. Gleich drei (mehr oder weniger) neue Gesichter bilden fürderhin das Triumvirat (oder Triumfeminat?) der BiNe. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen wollen sie sich den Bijou-LeserInnen heute vorstellen.
Liebe Mitglieder, Nicht-Mitglieder und SympathisantInnen,
wir haben am 16.11.1996 in Butzbach bei Frankfurt eine sehr anstrengende Mitgliederversammlung hinter uns gebracht, bei der der alte Vorstand entlastet und ein Neuer gewählt wurde.
Während der mehrstündigen Sitzung tauchten immer wieder grundsätzliche sowie organisatorische Fragen und Disskussionen über die Ziele auf, die die BiNe verfolgt.
Auch wenn es sehr anstrengend war, und sich die Gemüter mit der Zeit erhitzten, war es gut für uns, als neuer Vorstand, diese Eindrücke mit auf den Weg zu nehmen. Wir werden in jedem Fall Neuland beschreiten, auch wenn wir schon Einblick und Übung durch die Organisation von IBIS haben.
Bedingt durch die mittlerweile erreichte "Größe" der BiNe, müssen wir zum Teil andere Wege beschreiten als der alte Vorstand. Dabei möchten wir auf jeden Fall die bisher bestehende persönliche Atmosphäre aufrecht erhalten .
Tatkräftig unterstützt werden wir dabei durch das ehemalige IBIS-Organistionsteam, welches sich jetzt off-beat (Offenes-BiNeaktionsteam) nennt und (zumindest für Ortsansässige) die Gelegenheit bietet, die Aktivitäten des e.V.s hautnah mitzubekommen und selbst aktiv zu wereden. So ganz nebenbei haben wir auch in diesem Kreis wieder jede Menge Spaß...
Ganz besonders wollen wir folgende Themen im Auge behalten:
Wir wünschen uns, daß das auf dem Treffen spürbare Interesse an der BiNe-Arbeit bestehen bleibt und Ihr ein lebendiger Teil des Netzwerks werdet.
So, wie der "alte" Vorstand, Heide, Robin und Jürgen, ihre persönlichen Fähigkeiten und Interessen eingebracht haben, möchte auch wir diese Schwerpunkte in die Netzwerkarbeit einbringen. Ein herzliches Dankeschön für das u ns entgegengebrachte Vertrauen. Wir werden versuchen das Erreichte so gut wie möglich aktiv weiterzuführen und dabei das "Persönliche" nicht aus dem Auge zu verlieren. Schließlich sollte die BiNe ein Heimathafen für Mitglieder un d alle Interessierten sein und keine Durchgangsstation.
Euer Vorstand,
Bettina, Peter, SaBiNe
Bettina:
Idealistin: Bi-F. 35 J. seit ' 84 Wahlberlinerin.
SternZ: Löwin, Soz.päd., mit Herz und Hirn, Durchhalte- und Durchsetzungsvermögen sucht bisexuelle Menschen zum weiteren Aufbau eines Netzwerks.
Seit vielen Jahren definiere ich mich als bisexuell, meine Liebe zu Frauen lebe ich jedoch erst seit ein paar Jahren. Vorher war sie in der Rubrik: Phantasie - die Gedanken sind frei gespeichert.
Durch die Unterstützung und das Verständnis in einem Gesprächskreis von bisexuellen Männern und Frauen fand ich den Mut und die Klarheit beide Seiten meiner Bisexualität anzunehmen und zu leben. Für mich hat sich eine alte Sehnsucht erfüllt und ich spüre, daß ich erst jetzt wirklich lebe.
Inzwischen bin ich seit 2 Jahren Mitglied in der BiNe. Das Anliegen der BiNe, ein möglichst weites Netzwerk für bisexuelle Menschen zu errichten, finde ich sehr wichtig und dies will ich deshalb mit meiner Vorstandsarbeit unterstützen. E in besonderes Anliegen ist es mir, Menschen in noch nicht "vernetzten" Gebieten zu erreichen.
Ergeben hat sich dieser Wunsch durch mehrere briefliche Anfragen an die BiNe aus eher entlegenen Regionen, mit dem Wunsch nach Bi-Kontakten. Für mich wäre es schon ein Erfolg, wenn wir diese Leute zu Eigeninitiative ermuntern könnten.
Peter
Seit ich im Dezember 1994 zum ersten Mal beim Berliner Bi-Stammtisch war, haben sich die Ereignisse förmlich überschlagen: mein Freundeskreis hat sich in die BiNe hinein verlagert, irgendwann war eine Mitgliedschaft unausweichlich..., J&u uml;rgen konnte mich mit diversen Veranstaltungen begeistern, wir gründeten die Bisco, ... tja, und dann: IBIS.
Auch wenn uns Vorbereitung und Durchführung der Konferenz Einiges abverlangten, kann ich nicht umhin, ein positives Urteil über diese Erfahrungen abzugeben. Das gemeinsame Ziehen an einem Strang hat alle Beteiligten so aneinandergeschwei&szli g;t, das wir, nachdem IBIS vorüber war, regelrechte Entzugserscheinungen hatten. Ergebnis dieser Verlustängste ist off-beat.
Im Frühjahr 1996 überraschte mich dann Heides Rundbrief, in dem sie den bevorstehenden Rücktritt des BiNe-Vorstands ankündigte. Anläßlich eines gemeinsamen Essens mit dem in die niederbayerische Diaspora entschwindenden B enno erklärte ich dem mittlerweile emeritierten Vorstandsdreier meine Bereitschaft, im neuen Team mitwirken zu wollen.
Seitdem laufen bei "den Berlinern" ständige Diskussionen über die zukünftigen Ziele und Vorgehensweisen des Netzwerks. Betrüblich ist die Tatsache, daß von anderen Bi-Gruppen und Einzelmitgliedern so gut wie keine Reaktionen n ach Berlin durchsickerten, obwohl es sicher auch in anderen Städten Überlegungen zur Zukunft der BiNe gab.
SaBiNe
Die ersten 20 Jahre meines Lebens verbrachte ich im schönen Bayernland, südlich von München in einem ziemlich kleinen, sehr konservativen Nest. Da ich das Gefühl hatte dort ziemlich fehl am Platz zu sein, zog ich 1989 nach Berli n um, hatte damals aber noch keine Ahnung, daß ich mich irgendwann mit dem Thema Bisexualität auseinandersetzn würde.
Das kam erst später, als ich durch Zufall ein Interview von Vivi las, in dem auch das Netzwerk erwähnt wurde. Mir war klar, daß ich mich mehr mit der Anziehungskraft meines eigenen Geschlechtes auseinander setzen mußte. Ich schrie b ans Postfach der BiNe, ging zum Stammtisch und wurde im Dezember 1993 BiNe-Mitglied.
Irgendwann, bei einem "Aktions-Kaffee-Trinken" bei Jürgen erklärte ich mich bereit zusammen mit Viviana anläßlich eines Kronberg-Treffens einen Body-Painting-Workshop anzubieten und, obwohl ich damals noch sehr verschlossen war, f& uuml;hlte ich mich doch sehr wohl in dieser Gemeinschaft.
Als die Idee aufkam, IBIS zu organisieren war ich gleich dabei, auch wenn ich damals "erfahrungstechnisch" gesehen eher das Küken im Organisationsteam war.
Mittlerweile weiß ich, daß ich meinen Weg gefunden habe - mein Leben so zu gestalten, daß ich ich selbst sein kann...
Als ich vor der Mitgliederversammlung darauf angesprochen wurde, ob ich bereit wäre für den Vorstand der BiNe zu kandidieren, sah ich darin eine Möglichkeit diesen Weg weiter zu gehen.
Ich hoffe, daß mir meine Energie, die Erfahrungen, die ich während der Ibis-Vorbereitung gemacht habe, und mein "Listenfimmel" weiterhelfen, meine Ideen zu Gunsten des Vereins umzusetzen.
Man muß schon, wie ein Freund von mir zu sagen pflegt, 'mit dem Klammerbeutel gepudert' sein, um noch nichts vom INTERNET gehört zu haben. Die Medien überschlagen sich geradezu dabei, uns Konsumenten dieses 'Netz der Netze' näher zu bringen. In Heft 6 hatten wir bereits einen Einblick gegeben, wie jedermann und jedefrau über sogenannte 'Mailboxen' Kontakt zu anderen Bisxuellen weltweit aufnehmen kann. Nun, ein Jahr später, soll ein kurzer Überblic k folgen, wie das INTERNET für bisexuelle Kontakte und Austausch genutzt werden kann.
Falls Du bereits die Kongreßankündigung auf S.13 oder den Leserbrief von Wayne auf S.19 gelesen hast, kennst Du die 'Segnungen' des elektronischen Datenaustausches. Beides kam per 'eMail' zu uns, ausgeschrieben 'elektronische Post', übe r weltweite Computerverbindungen und das Telefonnetz in meinen Computer. Und das in Sekundenschnelle: Nur kurz, nachdem Wayne in Australien den elektronischen Brief an mich abgeschickt hat, landet er bereits in meinem 'Postfach'.
Dies ist eine Form des Kontakts. Noch direkter geht es per IRC, doch dazu schreibt Christian auf der folgenden Seite noch mehr. Hier könnt Ihr direkt (genauer gesagt: zur gleichen Zeit, obwohl jede/r zuhause an ihrem/seinem Computer sitzt) mitein ander plaudern, diskutieren oder flirten.
Ein zweites Beispiel, wie das INTERNET für Bi's zu nutzen ist, wird in der Kongreß-Ankündigung auf S.13 erwähnt. In Australien existiert ein elektronisches 'Bisexual Network', welches über das INTERNET von überall erreich bar ist (http://www.rainbow.net.au/~ausBiNet/). Aktuelle Meldungen, Diskussionsbeiträge etc. sind so jederzeit abrufbar. Ähnliche Netze gibt es auch in den USA, und, wer weiß, vielleicht könnt Ihr Bijou demnächst auch über E uren PC erhalten - brandaktuell und druckfrisch!
Eine dritte Möglichkeit: Die sogenannten 'Newsgroups'. Sie sind so etwas wie elektronische Diskussionsbretter, an die alle mehr oder weniger lange Beiträge, Fragen und Antworten pinnen können. Man/frau meldet sich in so einer Newsgroup a n, kann dann beliebig ausführlich mitlesen, was andere schreiben, und selbst mitschreiben. Newsgroups gibt es zu tausenden von Themen (natürlich auch zum Thema Bisexualität) und täglich kommen neue dazu.
Voraussetzung allerdings: Ein Computer mit Modem (das ist ein Gerät, welches die Daten aus dem Telefonnetz fischt und aufbereitet) sowie einen Anschluß ans INTERNET. Im Prinzip geht es mit jedem Computer, auch älteren und gar nicht so schnellen, sofern man dafür die nötigen Programme kriegen kann. Wenn Dich diese Methode der elektronischen Kontakte interessiert, empfiehlt es sich, erfahrene Bi's (oder, wenn die nicht greifbar sind, tuns auch Heteros) um Hilfe zu fragen und ei n wenig mehr darüber zu lesen. Empfehlenswert zur Einführung sind Bücher wie 'Internet für Dumme Einsteiger'(ITW-Verlag) oder 'Online - Das erste Mal'(Sybex-Verlag). Und dann: Auf ins Netz! Die Bijou-Redaktion erreichs t Du übrigens über
grossmannt@rrz.uni-hamburg.de.
Thomas
Über Harold Brodkey und seinen Roman "The Runaway Soul"
Im Frühling dieses Jahres ging die Nachricht durch die Feuilletons, daß Harold Brodkey an AIDS gestorben ist. Das war nicht besonders überraschend: Schon vor mehreren Jahren hatte er sich zum Ausbruch der Krankheit bekannt und in immer neuen Interviews ihren Fortschritt dokumentiert. Es entsprach wohl seiner Art, auch das Persönlichste öffentlich zu machen, vielleicht weil er glaubte, nur so dem Druck standhalten zu können, mit dem weite Teile der Öffentlichkeit das verurteilten, was sein Leben ausmachte. Harold Brodkey ist es in beispielloser Weise gelungen, nicht einmal in den sozialen Randgruppen eine Heimat zu finden. Zeit seines Lebens fühlte er sich gezwungen, für seine Lebensweise allein einzustehen, ohne Beistand und Unterstützung bei Gruppierungen irgendwelcher Art zu finden. Er wurde als Jude in Missouri geboren. Die Mutter starb bald nach seiner Geburt an Krebs. Der Vater verkaufte ihn an Pflegeeltern. Bis zu deren ebenfalls frühem Tod lag er mit ihnen in einem immerwährenden Kampf, genau wie mit der Stiefschwester, die er abgrundtief haßte. Er hatte Zeit seines Lebens Beziehungen mit Männern und Frauen, ohne daß er sich jemals einer Gruppe wie Schwulen, Heteros od er Bisexuellen zugehörig gefühlt hätte. Zu unterschiedlich und kompliziert schienen ihm Liebesbeziehungen, als daß es Sinn gemacht hätte, sie auf einen einfachen Begriff zu vereinigen. Deutlich wird dies in einer der Passagen von The Runaway Soul, in der er sich mit dem Charakter der Homosexualität beschäftigt: "There are so many ways to be homosexual or partly homosexual - or flatly not homosexual - that you’d have to know everyone who was alive and everyon e who had ever been alive to know much about it." Viele Romane machen es dem/der LeserIn leicht, sich zu identifizieren. Da sind immer Charaktere, die gut oder schlecht sind. Meistens identifiziert man sich mit den Guten und fühlt sich besser. < I>The Runaway Soul ist dagegen ein anstrengendes Buch. Es ist anstrengend, weil man sich mit dem Protagonisten des autobiographischen Romans identifiziert (wenn man sich identifiziert). Es ist ein Buch, bei dem ich zum ersten Mal das Gefühl hatte , wirklich jemanden gegenüber zu haben, fast als würde ich mit jemandem reden. Dieses Buch stellt den/die LeserIn bei der Lektüre vor dieselbe Erfahrung, die wir im Leben tatsächlich mit Freunden und Beziehungen haben. Man ist oft gene rvt und gelangweilt von den Problemen, mit denen sich Brodkey herumschlägt, deprimiert von der Ausweglosigkeit der Situationen, aber auch glücklich und verbunden, wenn man erkennt, daß all die Kämpfe um das mühsame Aufspüren einer eigenen Identität ihren Sinn haben. Oft ist man ratlos angesichts des abgrundtiefen Hasses, mit dem der Protagonist seine Familie verfolgt; angenervt bei den endlosen arroganten Berichten über seine sexuelle Potenz. Aber mit der Zeit erke nnt man, daß das, was da beschrieben wird, eben nicht das glatte Leben ist, das man sonst aus Romanen kennt, daß in diesem Text das gute Ende nicht von vornherein feststeht, daß all dieses Schreiben ohnehin nur einen Sinn hat: zu dokumen tieren, durch welche Untiefen und Banalitäten, welche beglückenden Momente und Enttäuschungen man gehen muß, wenn man auf der Suche nach der eigenen Identität ist. Und mit der Zeit erkennt man, daß der anstrengende Weg, auf dem man da mitgezerrt wird, irgendwie auch der eigene ist. Für mich sind Leben und Werk Harold Brodkeys ein großen Vorbild gelungenen Lebens. Er hat das erreicht, was ein Ziel ist, wenn ich mich zur Bisexualität bekenne: ein Bekenntnis zu größtmöglicher Offenheit. Es ist der Versuch, die vielen vorgefertigten Schablonen tagtäglich beiseite zu legen und immer wieder einen neuen Anlauf zu nehmen, die Arbeit zu finden, die ich für mich angemessen finde, Beziehungen und Sexualität so zu leben, daß ich mich zu Hause fühle. Und wenn man dabei auch immer wieder scheitert, ist es tröstlich, ein Buch wie das von Harold Brodkey zu finden, ein gelebtes Leben, aus dem man vielleicht lernen kann, daß ; das Gelingen letztendlich gar nicht so wichtig ist (weil die ideale Beziehung und das endgültig gelungene Leben eh nur Illusionen sind), aber daß es wichtig ist, immer wieder darauf zuzugehen.
Christian Hoffmann
"The Runaway Soul" ist bei Vintage, London erschienen. Der Titel der deutschen Übersetzung lautet "Die flüchtige Seele"(rororo, Reinbek).
Gespräche über das Leben mit Frauen und Männern
Wie leben andere Bisexuelle, wie haben sie ihre Identität gefunden? Unser Redaktionsmitglied Anja führt in lockerer Folge mit Frauen und Männern Interviews über ihre Lebenssituation, die wir hier abdrucken. Diese s Mal spricht sie mit Petra (32).
Liebe Petra, Du bist jetzt 32 Jahre und von Dir weiß ich, daß Du schon längere Zeit Deine Bisexualität lebst. Du hattest verschieden lange Beziehungen in den unterschiedlichsten Formen. Erzähl mir doch einfach mal, wann Du an gefangen hast, Dich als bisexuell zu empfinden.
Petra: Ich hatte zuerst Beziehungen zu Männern und habe erst mit der Beziehung zu Michaela, da war ich 27 Jahre, registriert, daß ich bisexuell bin. Mein erstes sexuelles Erlebnis mit einer Frau war mit 17 - 18, wobei ich mit dieser Frau ein e sehr intensive Freundschaft hatte und wir beide nur ein einziges Mal weiter gegangen sind über das Schmusen hinaus. Als uns gesagt wurde, daß das ja eine lesbische Beziehung sei, haben wir nur gesagt, daß keiner die Intensität unse rer Freundschaft versteht.
Anja: Mit 18 Jahren hast Du dann den Peter kennengelernt und warst mit ihm sieben Jahren zusammen. Hattest Du keine Frauenbeziehungen während dieser Zeit?
Petra: Nein, nicht so wie später, als ich mit Michaela eine emotional tiefergehende, leidenschaftliche Beziehung hatte.
Anja: Mit Peter hattest Du eine monogame Zweierbeziehung. Du sagst, daß Du im Prinzip eine sehr treue Seele bist, die solange treu ist, wie sie nicht provoziert wird.
Petra: Wenn ich fremd gehe ist mir klar, daß ich nicht mehr in der Beziehung bleiben will.
Anja: Mit Michaela war die Beziehung auch von vornherein klar als monogam definiert?
Petra: Michaela war für mich die erste Frau, in die ich mich verliebt hatte und wo von vornherein ein Treueanspruch da war. Während der ganzen Zeit hatte ich auch gar nicht das Bedürfnis mit Männern zu schlafen. Das hat sich erst na ch ca. zwei Jahren wieder gedreht, wo ich dann wieder so ein Prickeln verspürte. Da kamen dann mehrere Dinge zusammen, die dazu führten, daß ich die Beziehung zu Michaela abgebrochen habe. Nach mehreren Situationen, in denen ich fast mit a nderen Männen geschlafen hätte, kam dann Klaus.
Anja: Mit Klaus begann dann wieder eine Wandlung der Beziehungsrichtung von Frau zu Mann?
Petra: Jain. Klausund Michaela kannten sich und waren gut befreundet, sodaß es zu folgender Situation kam. Zwischen Michaela und mir gab es eine starke emotionale Bindung, während ich zu Klaus eher eine kopflastige, sexuelle Beziehung hatte. Ihm fehlte einfach die kindliche, verspielte, weiche Art, die die Beziehung mit Michaela und auch mit Peter so wertvoll gemacht hat. Die Beziehung zu Klaus war allerdings anstrengend, er war sehr fordernd und herausfordernd. Während der Zeit kam es auch dazu, daß er Michaela mit nach Hause brachte und wir dann zu dritt im Bett lagen. Obwohl ich mit Michaela dann nicht mehr geschlafen habe, bis auf einmal, wo Klaus uns provoziert hatte, aber es hatte nicht mehr den Stellenwert.
Anja: Dadurch, daß ihr auch noch zusammen gearbeitet habt, wart ihr unglaublich intensiv zusammen. Gab es da nicht irgendwann einen großen Knall?
Petra: Es gab ständig irgendwelche Knallsituationen, gleichzeitig war es aber auch eine schöne , intensive Zeit. Klaus wollte im Prinzip immer mal ausprobieren, mehrere sexuelle Kontakte gleichzeitig zu haben, nach dem Motto: Die fairste Art fremdzugehen ist, es zu dritt zu treiben.
Anja: War das auch Dein Wunsch, oder Phantasie?
Petra: Ich war schon neugierig und wenn es unter meinen Gefühlsbedingungen gelaufen wäre, hätte ich auch mit vier oder fünf machen können. Wir hatten klare Absprachen getroffen, wie das funktionieren kann. Es mußte so sei n, daß die entsprechenden Partner zwar attraktiv sein sollten, aber nicht so, daß sich einer verliebt. Jeder konnte Stop sagen, außerdem habe ich klar gesagt, was ich brauche, um damit gefühlsmäßig umgehen zu können. Leider wußte Klaus das für sich nicht.
Anja: Dann habt ihr das auch gemacht?
Petra: Nein, es hätten vier werden sollen, der erste Dreier war als solcher geplant und ist dann auch so gelaufen, erotisch, sexuell sehr schön aber gefühlsmäßig daneben. Klaus hat sich gefühlsmäßig danebenbeno mmen als er eine Situation ausnutzte, die mit fremdgehen gleichzusetzen war. Und anstatt dann auf mich einzugehen und unsere Vertrauensbasis wiederherzustellen, hat er mich fallengelassen und gesagt, ich solle mich nicht so anstellen. Danach habe ich mich gerächt. In dem Moment war mir dann klar, daß diese Beziehung nicht mehr stimmt.
Anja: Was für Auswirkungen hatte diese Situation?
Petra: Das hat sich aufgeschaukelt. Er wurde so eifersüchtig, daß er mich an einem Punkt versucht hat zu schlagen. Danach versuchte er noch einmal die Bedingungen unserer Beziehung zu ändern.
Anja: Hat das funktioniert?
Petra: Nein, denn auch beruflich hat er sich dann distanziert und unsere Pläne umzuwerfen versucht.
Anja: Hast Du noch während dieser Zeit Beziehungen zu Frauen gehabt?
Petra: Ja, mit Ulla, der Frau aus unserer Dreierbeziehung zusammen haben wir einen Freund verführt.
Anja: Welche Beziehungsform kannst Du Dir vielleicht vorstellen zu führen? Eher mit einer Frau oder mit einem Mann oder mit beiden gleichzeitig?
Petra: Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich nur sagen, bloß keine zwei Beziehungen gleichzeitig, das ist mir inzwischen zu anstrengend. Und überhaupt erst mal mit der Tendenz zu Männern, dann monogam, bis sich ein Herzensvertrauen gebildet h at und dann muß man wieder verhandeln. Denn ich bin trotz alledem neugierig. Ich kann allerdings nicht mehr so locker ausprobieren, ich möchte mehr Qualität in der Beziehung, mehr Tiefe und Intensität.
Anja: Liebe Petra, ich danke Dir sehr für dieses Gespräch.
Aus Gründen der Anonymität habe ich die Namen aller Beteiligten verändert.
Gedichte von Hans Bruns-Potthoff
Der hauch von zigarettenrauch
die zigarette danach
erinnerung an vertrautes vergangenes
genuß sucht nach mir
sucht mich
eine kleine zeit laß ich mich fallen
beschwingte fahrt zu ihm
empörung im rücken
kurzer fester entschluß
ich erkenne mich kaum
die zigarette davor
sie deutet an
fragmente von sätzen werden durch bilder der kleinen zukunft
ersetzt
ich weiß ich erahne es nicht
das wiedersehen
aber die zigarette danach
nur für uns
exk1usiv
eine halbe meile
er strahlt aus
sanftheit mann augen für mich
vibrationen in mir
minuten können keine stunden sein
augenblicke
die zigarette danach
ich ahne schon
grenzen der zukunft
sie schwingen mit in der liebe zu ihm
perspektiven in der luft
der wille wird diffus
steht zur disposition
und immer wieder
die zigarette danach
hauch des vergessens
hauch der lust
sein atem teilt sich mit mir
eine halbe meile
meilenweit entfernt
unwiederholbar
angenehm in der wiederholung
sie wartet auf mich
sie warten auf mich
ich habe mich ihnen versichert
als ob zigaretten nicht existieren
empörung weicht stummen fragen
entscheidungen
scheidungen
die fraktur des willens
die beharrlichkeit des wollens
die siege der lust
verständnis der liebe
die zeit scheint entscheiden zu wollen
andere drohen entscheidungen
ich ent-scheide mich nicht
ja ich darfs mir erlauben
ganz f r e i zu sein
mir ganz nachzugehn
mich umzusehn
nach damen und herren
die mirs gewähren
mann oder frau zu sein
in manchen stunden
mich zäh überwunden
von mir abzusehn
ganz mir zuzugestehn
es ist so schön
zu mir zu stehn
die schönen blicke
mich überzeugen
es gibt nichts andres
als dazu zu stehn
männer- und frauenaugenblicke
nachzuempfinden
in vielen augen
blüht der zauber
sich auf andre pfade zu wagen
als eherne sätze zu wagen sagen
es genügt nur ein lachen
es ist mir oft nicht genug
Unter diesem Titel wurde vor längerer Zeit im Hagener Stadttheater ein Stück präsentiert. Im Programmheft fanden wir den folgenden Text von Parker Tyler, der sich mit der Vergangenheit und der Zukunft der Geschlechter verhältnisse und Liebensweisen auseinandersetzt. Wir fanden ihn so bemerkenswert, daß wir ihn Euch nicht vorenthalten wollten.
Die Menschheit hat ihre vorschnellen Urteile über Sexualität aus gesellschaftlichen (und natürlich auch politischen) Gründen hartnäckig aufrechterhalten und schließlich in den gesicherten Rang von Institutionen erhoben - unwandelbar wie die Sterne in ihren Bahnen.
Freilich, das letzte ist selber eine leichtfertige Behauptung. Denn zwar herrscht in dem uns bekannten Universum offenbar eine ewige Bewegung, deren Wiederkehr (mehr oder weniger exakt) nachweisbar ist; trotzdem sind Bau und Verhalten der Gestirne nach wie vor Gegenstand intensiver Forschung, und die Erkenntnis, was das Ganze eigentlich zusammenhält, steht noch immer aus.
Man kann natürlich sagen, daß deswegen ein Stern doch ein Stern bleibt und Sex Sex. Gewiß, gewiß, wer wollte es leugnen? Beim nächsten Schritt stoßen wir dann auf drei gleichfalls für ewig gehaltene Kategorien: He terosexualität, Homosexualität und Bisexualität - jene etablierte Dreifaltigkeit, deren drittes Teil vielen, wenn auch nicht den meisten, als die goldene Mitte gilt. Die Bühne ist, wie alle Künste, der Tumierplatz, auf dem die Lib ido ihre Erfindungskraft erprobt. Sie ist das wahre Reich der Supergeschlechter.
Vielleicht ist Gautiers Meistererzählung "Mademoiselle de Maupin" in unserem Zusammenhang nicht ohne Interesse. Es handelt sich, wie man weiß, um eine weibliche Transvestitin, die bei einer Privataufführung von "Wie es eu ch gefällt" die Rolle der Rosalinde spielt und dafür Frauenkleider anlegen muß. Man erinnere sich, daß Rosalinde sich zeitweilig als Knabe verkleidet, um sich dem Mann zu nähern, in den sie verliebt ist; daß dieser de r verkleideten Rosalinde, von der er sich ebenso angezogen fühlt wie sie von ihm, im Ardennerwald begegnet, sie aber nicht erkennt; daß er die Gelegenheit nutzen möchte, die Liebeserklärung zu proben, die er eines Tages an Rasalinde z u richten hofft; und daß er zu diesem Zweck den Knaben, den er für Rosalinde hält, darum bittet, sich als Mädchen auszugeben.
Man erinnere sich ferner, daß im elisabethanischen Theater die Frauenrollen von Männern dargestellt wurden. Auf Shakespeares Bühne haben wir also einen männlichen Schauspieler, der ein Mädchen spielt, das in einigen Szenen als Knabe auftritt, welcher vorgibt, ein Mädchen zu sein. Dieser Doppelscharade fügt Gautier ein weiteres Geschlecht hinzu: Mademoiselle de Maupin (im Leben eine gewohnheitsmäßige Transvestitin) ist eine Frau, die sich als Mann verkleide t, der (in der Aufführung) eine Frau darstellt, die (auf der shakespeareschen Bühne) in Wahrheit ein Mann ist, der eine Frau verkörpert, die sich als Mann ausgibt, der (vorübergehend) so tut, als sei er ein Mädchen...
Alles bloß Theater? Das können Sie Barbarellas Großmutter erzählen... Wer es unternehmen würde, für dieses Scharadengeschlecht auch noch einen Namen zu suchen, der liefe Gefahr, sinnloser Übertreibung beschuldigt zu werden. Und doch bin ich überzeugt, daß die Garbo, hätte sie je die Rolle des Fräuleins von Maupin gespielt, Gautiers Sex-Vexierspiel sichtbar und konkret der Wirklichkeit angenähert hätte. Am Ende der Erzählung geht M ademoiselle de Maupin - kurz zwar, aber mit triumphalem Erfolg - mit ihrem männlichen und ihrem weiblichen Verehrer ins Bett.
Nichts wäre falscher als der Schluß, daß sie schlicht bisexuell ist. Gautiers Heldin ist viel zu vital und zu modern, um so altmodisch zu sein. Die Maupin ruft unwillkürlich die Erinnerung an Balzacs wankelmütige Transvestite n Seraphitus-Seraphita wach - nach Balzac die Frau eines Mannes und der Mann einer Frau, was ihm beides prachtvoll gelang. Sollte es nicht eine surreale Domäne der Sexualität geben, in der Supergeschlechter, Geschlechter und Subgeschlechter h&uu ml;bsch säuberlich vereint sind? Ich meine: ja, und mit dem nötigen Vermerk, daß gegenüber außermenschlichen Fähigkeiten Skepsis am Platz ist, können wir sie in unserer Kartei unter Transzendosexualität ablegen. Z wangsläufig wird der bürgerliche Konservatismus die schemenhafte, von der Wissenschaft sanktionierte Dreifaltigkeit Heterosexualität- Homosexualität- Bisexualität so lange wie möglich hüten wie einen Schatz bis zum letzt en wirtschaftlichen und politischen Atemzug.
Gewiß sind viele der bürgerlieben Mythen, die das Establishment so hoch hält, schon derart angeschlagen, daß sich niemand über ihren Zusammenbruch wundern würde. Aber sehen wir genau hin: sie stehen noch. "Und warum auch nicht?" höre ich fragen: "Schließlich sind die guten alten Adams und Evas in der Mehrzahl: schließlich sind diese Archetypen in ungebrochener Linie auf uns gekommen, bis ins Weiße Haus. Ein solcher Beweis für la ngjährige Treue hat seinen historischen Lohn verdient.
Also: was soll an normaler Sexualität so verkehrt sein?" Gar nichts, würde ich antworten. So wenig ist damit verkehrt, daß "normale Sexualität" dasselbe ist wie ein weißer Schimmel. Alle Sexualität ist nor mal, und gedeiht. Woran intelligente Menschen Anstoß nehmen, das ist die Etikettierung: die berechtigten drei Markenzeichen und das, was sie implizieren. Wenn ich diesem Schementrio die sexuelle Wirklichkeit gegenüberstelle, muß ich besch eiden zugeben, daß mir nicht viel mehr gelungen ist, als auf dem weiten Feld der Geschlechterdifferenzierung eine dünne Furche zu ziehen.
Eines bin ich indessen sicher: Die gegenwärtigen Träger der sexuellen Rollen sind im Abtreten begriffen. Ihren Part haben sie mit Hingabe und Ausdauer gespielt, und ich finde, sie verdienen einen freundlichen Abschied, wenn nicht gar stü rmischen Schlußapplaus.
Also dann:
Lebewohl, Heterosexualität!
Lebewohl, Homosexualität!
Lebewohl, Bisexualität!
Und jetzt - alle zusammen:
Willkommen, all ihr Geschlechter!
Parker Tyler