Cyber-Bijou Nr. 3 (April 95)
Inhalt:
Einige Leute machen sich anscheinend ernsthafte Gedanken über ein bisexuelles Wohnprojekt. Wie alle guten Ideen gibt es auch diese schon lange, aber so richtig in die Gänge gekommen ist die Diskussion darüb er erst seit kurzer Zeit. Was ich aufschnappe, klingt sehr spannend. Es gibt sicherlich eine ganze Menge verschiedener Denkansätze und Modelle, die sich der Phantasie auftun. Hat jemand eine Lebensgemeinschaft ähnlicher Art schon einmal in der Realität erlebt, bzw. mitgelebt? Vielleicht lohnt es sich mittlerweile, etwas zu diesem Thema in bix zu veröffentlichen??
An dieser Stelle möchte ich mal wieder einen Schrei nach Comics loslassen: Wer hat Ideen und kann sie zeichnerisch umsetzen? Bitte unbedingt melden! Wie und was bleibt natürlich der/dem Einzelnen überlassen. Wichtig ist jedoch, da ß eine Karikatur o.ä. nicht persönlich wird. Aber das sollte immer so sein, auch bei satirischen Beiträgen.
Und dann war da noch der von den Bisexuellen im Fernsehen. Ich weiß, ich weiß, die Geschichte ist hinlänglich bekannt. Aber - merket auf, oh Ihr Geknickten! - es gibt einen Lichtblick: eine Journalistin aus Berlin hat sich für e ine Produktion im Rahmen der Reihe «Doppelpunkt» (ZDF) des Themas angenommen. Sie reist seither kreuz und quer durch Deutschland und sammelt Menschen & Interviews, um eine breitgefächerte Momentaufnahme zu erstellen. Die, die sie kennen, sind gut er Hoffnung...
Heiner
Ein Gespräch mit Fritz Klein.
Fritz Klein gehört zu den amerikanischen Bi-Aktivisten der ersten Stunde. Er lebt und arbeitet heute als Psychiater und Therapeut in San Diego, Kalifornien. Das Interview, dessen erster Teil in bix Nr.2 erschien, wurde am 11.9.94 gefüh rt, als Fritz Klein in Berlin zu Besuch war. Die Fragen stellte Robin Cackett, der auch die Übersetzung ins Deutsche besorgte.
Robin: Warum sollte man überhaupt der Bisexualität in seinem Leben eine so große Bedeutung einräumen?
Fritz: Nun, weil Sexualität als solche eine wichtige Stellung im Leben eines jeden Menschen einnimmt. Sexualität ist ein grundlegender Teil unseres Lebens und wenn Du bisexuell bist, entstehen Dir dadurch vielerlei Probleme, aber auch vielerlei Möglichkeiten, die eine monosexuelle Person nicht hat - oder um Woody Allen zu zitieren: Du hast eine doppelt so große Chance, am Samstagabend mit jemandem auszugehen.
Robin: Schön und gut, aber weshalb sollte man sich bemüßigt fühlen, in eine bisexuelle Selbsthilfegruppe einzutreten statt einfach nur seine doppelten Möglichkeiten zu genießen und glücklich und zufrieden ...
Fritz:... entweder in einer oder in beiden Gemeinschaften, in der heterosexuellen oder der schwulen bzw. lesbischen Gemeinschaft seine Tage zu beschließen?
Robin: Ja, warum sollte man sich als BisexuelleR organisieren?
Fritz: Manche Leute finden das in der Tat überflüssig, und Du wirst feststellen, daß das politische Bewußtsein unter Bisexuellen nicht so ausgeprägt ist wie unter Schwulen und Lesben. Schwule und Lesben haben häuf ig das Gefühl, daß ihnen etwas Wichtiges im Leben fehlt, wenn sie sich nicht politisch und sozial organisieren und durch Öffentlichkeitsarbeit und öffentliche Selbstdarstellung für ihre Freiräume kämpfen. Die Bisexuelle n können sich der schwulen oder lesbischen Subkultur und dem entsprechenden Lebensstil anschließen, sie haben aber auch die Möglichkeit, ein heterosexuelles Leben zu führen und in der Mehrheitskultur ihrer Gesellschaft aufzugehen. Dah er halten es manche von uns für überflüssig, eine bisexuelle Identität aufzubauen oder eine politische Bi-Bewegung ins Leben zu rufen. Nichtsdestoweniger nimmt die Zahl derjenigen zu, die sich sowohl in homo- wie in heterosexuellen Zus ammenhängen unverstanden fühlen, die sich in beiden Gemeinschaften diskriminiert fühlen und die deshalb über kurz oder lang in der Bi-Bewegung aktiv werden, wo sie sich wohler und glücklicher fühlen. Aber ich muß einmal mehr darauf hinweisen, daß wir hier über sehr geringe Zahlen reden.
Robin: Manche Bisexuelle bleiben ganz und gar im heterosexuellen Lager, weil sie ...
Fritz: ... als Heterosexuelle gelten möchten? Ja, aber dann leben sie einfach versteckt! Und wenn derselbe Mann in eine schwule Kneipe geht und niemandem dort verrät, daß er verheiratet ist, dann spielt er dort zum zweiten Mal V erstecken, weil er nun zwei Leben lebt, das eine in der Schwulen Gemeinschaft und das andere in der Heterogemeinschaft. Manchen Leuten macht das nichts aus, aber andere leiden innerlich darunter, so viele verschiedene Leben zu führen, die nicht mitei nander in Einklang stehen.
Robin: Und manche Bisexuelle schließen sich lieber der Lesben- oder Schwulenbewegung an statt als bisexuelle Politik zu machen, weil sie der Ansicht sind, daß sie vor allem wegen ihrer lesbischen und schwulen Anteile diskriminiert we rden.
Fritz: Naja, häufig ist das auch die einzige politische Option. Seien wir ehrlich, eine Bisexuellenbewegung im eigentlichen Sinn gibt es nicht. Wir reden dauernd über eine Bi-Bewegung, während wir doch beide wissen, daß es z war in jedem Land und an jedem Ort mehr Bisexuelle gibt als Lesben und Schwule, die Anzahl derjenigen, die sich politisch oder sozial als Bisexuelle organisieren aber verschwindend gering ist.
Heute morgen sprachst Du von einer Frau, die sich als bisexuell definierte, jetzt aber in einer lesbischen Beziehung lebt und jeglichem Bi-Aktivismus den Rücken gekehrt hat, weil sie sich als Lesbe begreift. Es kann sein, daß sie in zwei Jahren mit einem Mann verheiratet ist und sich auch dann nicht als bisexuell versteht. Ich kenne so viele «schwule» Männer, die dreißig Jahre lang mit einer Frau zusammengelebt haben, Kinder aufgezogen und auch die sexuelle Seite ihrer Ehe sehr genossen haben, jetzt aber mit einem Lover zusammenleben und von Frauen nichts mehr wissen wollen. Sie verstehen sich jetzt als schwul und trotz ihrer dreißigjährigen heterosexuellen Geschichte betrachten sie sich nicht als bisexuell.
Robin: Sind sie’s denn?
Fritz: Das hängt von Deiner Definition ab. Wie Du weißt gibt es mehrere Variablen, die dabei eine Rolle spielen, und außerdem hängt die Definition davon ab, ob man Lebensgeschichten über einen längeren Zeitraum be trachtet oder nur als eine Reihe Schnappschüssen zu verschiedenen Zeitpunkten. Wenn Du nur ihre heutiges Leben in Rechnung stellst, kann man sie vermutlich nicht als bisexuell bezeichnen, aber im Rückblick auf ihr gesamtes Leben könnte man sehr wohl behaupten, daß sie bisexuell sind.
Robin: Eine letzte Frage: Gibt es irgend etwas, das Du den Bisexuellen in Deutschland besonders ans Herz legen möchtest?
Fritz: Nun, die deutsche Bi-Bewegung steckt im Vergleich zu anderen Ländern wie den Vereinigten Staaten, England oder Holland noch in den Kinderschuhen ...
Robin: ... damit dürftest Du manche von uns ziemlich verärgern, immerhin gibt es seit über zehn Jahren bundesweite Bi-Treffen ...
Fritz:... nein, nein, ich spreche allein von der Größe, nicht von den Leuten, die sich seit Jahren treffen und in der Bewegung aktiv sind. Ich spreche von der Anzahl der Leute und von der Anzahl der Städte, in denen es Bi-Gruppen gibt und von der Prozentzahl der AktivistInnen. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, daß Ihr eine gute Infrastruktur aufgebaut habt, die ein schnelles Wachstum der Bewegung möglich macht. Aber die Voraussetzung dafür ist, daß die ode r einzelne Bisexuelle, die oder der in einer Stadt ohne Selbsthilfegruppe lebt, die nötige Initiative aufbringt, eine Gruppe zu gründen, und am Anfang die nötige Unterstützung kriegt. Ganz gleich wie klein die Gruppe am Anfang ist, auc h wenn es nur zehn, fünfzehn oder dreißig Leute sind, die sich regelmäßig einmal im Monat treffen, nach einer Weile kommt die Sache dann ins Rollen, und je mehr Leute und Gruppen, desto rascher wächst die Bewegung. Ich finde es faszinierend, daß Ihr, obschon die Bi-Bewegung in Deutschland noch relativ klein ist, bundesweite Selbsterfahrungs- und Arbeitswochenenden veranstaltet; das ist im Vergleich zu dem, was ich in Amerika erlebt habe und über England und Holland we iß, bereits ein enormer Vorteil. Solche Treffen sind eine wichtige Voraussetzung für die Ausbreitung der Bisexuellenbewegung. Und zu guter Letzt möchte ich Euch noch sagen, daß ich persönlich trotz meiner mangelhaften Deutschken ntnisse [die in Wirklichkeit sehr gut sind] gerne bereit bin, jedem und jeder zu helfen, die sich hierzulande für die Bewegung einsetzen, und daß ihr sowohl in Deutschland wie in anderen westlichen Ländern viele Freunde habt, die Euch eben falls gerne unterstützen.
Robin: Fritz, ich danke Dir für Deine Geduld und die vielen Anregungen und hoffe, Dich 1996 auf der 4. Internationalen Bisexuellen Konferenz in Berlin wiederzusehen.
Erfahrungsbericht über das Selbsterfahrungs-Wochenende "Bisexuelle Identität" vom 11. - 13.11.1994 in Roßdorf
Das neue und vom übrigen Komplex getrennte Haus, das wir für uns allein hatten, war sehr schön. Das vegetarische Essen war für mich als Fleischfresser ausgezeichnet. Gegessen und geschlafen habe ich dort sehr gut. Doch nun zum E ingemachten:
Auf das Wochenende habe ich mich gefreut, konnte ich doch meiner bisexuellen Identität noch besser auf die Spur kommen und meine Bisexualität danach noch besser ausleben, sie besser darstellen, etc. pp., mich also hinterher rundum bisexueller fühlen.
Bisexuelle sind auch nur Menschen, haben ihre eigene Geschichte, ihre Verletzungen und sind verletzbar, wie ich: das durfte ich schon kurz vor Beginn des Treffens erfahren:
Angekommen in Roßdorf fand ich eine Teilnehmerin ganz nett und sprach sie an, verletzte sie mit meinen Worten und wurde von ihr verletzt, so sehr, daß ich das ziemlich ausführlich und tiefgehend mit ihr klären mußte. Es war zum kotzen: zwei Bisexuelle reden miteinander und verletzen sich, obwohl sie von der sozialen Umgebung ja schon genug verletzt werden. Ich wußte am Abend nicht, ob ich bleiben wollte.
Dann kam der zweite Hammer: Heide und Jürgen, unsere «Wochenend-Therapeuten» (nur für dieses Wochenende) gaben uns das Gebot, bis zum nächsten Morgen um zehn Uhr nicht zu sprechen und nicht zu trinken (Alkohol) um "ganz bei uns zu b leiben".
Mit dem Nicht-Trinken konnte ich ganz gut leben. Ich trinke auch sonst nicht viel Alohol. Aber wollte man mich hindern, mit anderen zu reden, wo ich in meinen Leben so oft, wenn es um meine Rechte und meine Wünsche ging, den Mund halten mußt e? vielleicht waren Heide und Jürgen ja irgendwelchen Gurus irgendeiner Sekte verfallen und wollten mich auch noch...?
Ich beschloß, mich an dieses Gebot nicht zu halten, stellte aber erschreckt fest, wieviele sich daran hielten. Waren das alle Ich-schwache Persönlichkeiten, diese anderen Bisexuellen?
Ich bin geblieben. Der Samstag war für mich persönlich sehr ereignisreich. Schwer zu ertragen war, daß uns zu Beginn kein detaillierter Tagesablauf mitgeteilt wurde. Nach dem Mittagessen gings dann zur Sache mit der Atemübung. Man sollte sich vorher mit Hilfe von Tarotkarten einen Partner suchen. Schon hier begann für mich die Selbsterfahrung: ich wartete, bis alle anderen sich gefunden hatten und für mich blieb nur ein Partner übrig, den ich mir nicht mehr aussuche n konnte (wie so oft in meinem Leben).
Nachdem mein Partner die ersten drei Stunden geatmet hatte, und wir uns danach mit Kaffee und Kuchen gestärkt hatten, gings weiter. Ich war dran mit Atmen. Nach einer Entspannungsübung zur Einstimmung atmete ich, immer schneller und schneller . Meine Über-ich-Signale aus dem Erste-Hilfe-Kurs wegen Hyperventilation konnte ich erfolgreich loslassen, da ich von einer Freundin über das Wunder der Atemübung gehört hatte und es jetzt selber erleben wollte. Bald spürte ich an verschiedenen Stellen meines Körpers Druck und Schmerz und gab meinem Partner jeweils entsprechende Anweisungen. Bald spürte ich in mir einen Impuls, zu schreien, und ich schrie los, so lange und so hemmungslos, wie ich es nie zuvor getan hatte . Zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich nicht mehr daran, ob ich den Leuten um mich herum meinen Schmerz überhaupt zeigen durfte. Ich wollte und fühlte mich gut dabei, zu schreien. Hinterher erlebte ich meine Umgebung als völlig ver&aum l;ndert. Es war, als wären alle Teilnehmer neu geworden. Vorher konnte ich mit ihnen nicht viel anfangen und jetzt freute ich mich, daß sie da waren. Das Entscheidende war, daß ich mich verändert hatte.
Verändert hatte ich mich wirklich, wie meine beste Freundin mir nach meiner Rückkehr reflektierte. Und ich merke es auch selbst. Ich kann auf andere Menschen gefühlsmäßig offener zugehen als vorher.
Dirk
Und schon wieder -
zwischen zwei Welten unterwegs
- gerade das «Bi-Wochenende» hinter mich gebracht...
In Gedanken noch nicht ganz weg und
noch nicht ganz zu hause.
Ambivalent hänge ich in der Luft
- zwischen anderen Fluggästen
Da war so viel Wärme, so viel Leichtigkeit,
Nähe, Distanz, Gemeinsames, Denkanstößiges,
tief in mir Klingendes - immer noch immer wieder neu.
Nackt ohne Haut fühle ich mich,
verletzlich und doch stark
wie lange wird es diesmal dauern -
bis mich der Alltag wieder schluckt.
Wir setzen zur Landung an...
Vivian
Bisexuelle im Licht der Öffentlichkeit
Oha! Schon wieder eine Talkshow im Fernsehen zum Thema Bisexualität. "Wir begrüßen im Studio den Psychologen Professor Doktor Leid und auf der Seite der Betroffenen Fritz Müller und Paula Schulze. Zunächst zu Ihnen, H err Müller. Erzählen Sie uns doch kurz von Ihren leidvollen Stationen auf dem Weg zur Bisexualität." - "Ja, also, es begann alles damit, daß ..."
Au weia! Wieder so eine Betroffenheitssendung! Wieder eine Sendung oder ein Zeitungsartikel, die dem Zuschauer oder der Leserin so richtig Mut macht, den gleichen leidvollen Weg wie die sich zur Schau stellenden Bisexuellen zu gehen - oder? Mir hä ngen sie zum Halse heraus, diese ewigen pessimistischen und depressiven Stellungnahmen und Berichte zu meinem Thema. Natürlich, keine Frage, ein Coming Out ist ein schmerzhafter Prozeß. Aber das Coming Out ist ja nur ein kleiner Teil im Leben e ines Bi- oder Homosexuellen Menschen, die kurze Phase der Selbstfindung, sozusagen der theoretische Auftakt zu einem darauffolgenden Leben voller Praxis. Warum also reiten wir immer wieder auf den leidvollen Seiten unseres Liebeslebens herum?
Den Journalisten und Talkmastern, die als dem Thema fernstehende Profis versuchen, ein interessantes Thema auf Mattscheibe oder Papier zu bringen, kann kein Mensch einen Vorwurf daraus machen, daß sie immer wieder in diese Kerbe hauen - es ist da s Einzige, was sie kennen und was sie sich vorstellen können. Als Außenstehender sieht der Journalist den Bisexuellen Menschen da, wo er gerade anfängt, sich von der herrschenden Mehrheit zu entfernen, also eben im Coming Out. Aber wir - k önnen wir uns auch nichts anderes vorstellen beim Thema Bisexualität als Leid und Schmerz, Identifikationsprobleme und das Betteln um Verständnis ? Ist das wirklich unsere Lebensrealität ? Wenn ja, dann wird es höchste Zeit, daran individuell etwas zu ändern. Wenn nein, dann muß die andere Art der Realität auch in der Art zum Ausdruck kommen, wie wir uns der Öffentlichkeit gegenüber darstellen.
Öffentlichkeitsarbeit oder - wie man im Ausland sagt: - «public relations» ist letztlich so etwas wie Werbung, und die schmerzhaften Prozesse eines Coming Outs sind mit Sicherheit nicht werbewirksam. Im Gegenteil: Die Botschaft, die durch die meis ten Presseberichte zum Thema Bisexualität transportiert wird, lautet: "Bisexualität (oder Homosexualität) ist etwas, was weh tut. Lieber Zuschauer, liebe Leserin, wenn Du irgendwie die Möglichkeit dazu hast, laß die Finger d avon! Wenn Du die Möglichkeit dazu nicht hast, dann bist Du nur noch zu bedauern."
Nein, verdammt! Das ist doch schlichtweg gelogen! Bisexuelle Liebe ist etwas Wunderbares, und das möchte ich auch zum Ausdruck bringen. Eine ehrliche Werbeaussage zu diesem Thema wäre: "Komm zu uns und genieße! Der Start wird Dir v ielleicht etwas schwer fallen, aber es lohnt sich." Bisexuelle Liebe ist etwas Optimistisches und Schönes. Leider können wir keine Werbung «für» Bisexualität machen, denn der wirklich rein heterosexuelle Zuschauer, die rein hetero sexuelle Leserin wird sich nicht überzeugen lassen, «dieses Produkt zu kaufen». Aber wir können und müssen denjenigen, die schmerzhafte Prozesse noch vor sich haben oder gerade mittendrin stecken, Mut machen zum Weiterkämpfen.
Die Situation in der gerade entstehenden Bisexuellenbewegung ist vergleichbar mit jener der Schwulenbewegung vor ca. 20 Jahren. Damals waren Homosexuelle froh darüber, wenn sie in den Medien überhaupt erwähnt wurden, und deswegen gab es in dieser Zeit im Fernsehen die gleichen Sendungen voller «Betroffenheit». Irgendwann aber hatten die Schwulen die Schnauze voll vom «Randgruppen-Spiel» und begannen, so etwas wie offensiv schwules Selbstbewußtsein zu entwickeln. "Wir wollen se in ein einig Volk von Schwestern - schrill, bunt und tuntig!" oder "wir bleiben unser'm Motto treu: schwul, pervers und arbeitsscheu!" oder "Manche Männer sind frustriert, denn ihr Arsch ist betoniert. Ratazong, Ratazong - weg mit dem Beton!" wurde damals auf den Schwulendemos gerufen. Mann hatte individuell die Zeit des Leidens hinter sich gelassen und war zu einer trotzigen Aussage gelangt: "Unser Weg ist der Richtige, und wer ihn nicht zu gehen bereit ist, ist nur z u feige dazu." Diese Form von Schwulem Selbstbewußtsein der frühen 80er Jahre - also noch in der Zeit vor AIDS - ist etwas, an das ich gerne immer wieder zurückdenke, ist etwas, das ich mir für alle Bisexuellen in unserem Lande w ünsche.
Wir haben eine positive Botschaft, nämlich die Liebe zwischen Menschen in jeder geschlechtlichen Konstellation, das Ende der Fixierung auf Menschen eines bestimmten Geschlechtes, die Öffnung im Liebesleben für die gesamte Menschheit. La& szlig;t uns diese Botschaft nach außen tragen und auf diese Weise all denen Menschen Mut machen, die sich bisher noch nicht trauen, ihre Liebe zu leben, weil sie Angst vor Schmerzen haben!
Gerald
Entschiedene Lebenskonzepte und Bisexualität - ein Widerspruch?
Mit Ratlosigkeit und Bedauern muß ich gelegentlich zur Kenntnis nehmen, daß sich BiNe-Interessierte plötzlich zurückziehen mit der Begründung, sie hätten sich jetzt entschieden für diese oder jene Seite und damit se i «bi» nicht mehr aktuell.
So sehr ich mich für diesen Menschen freue, daß er/sie nun den/die Partner/in fürs Leben gefunden haben, so sehr bedauere ich, daß das bi-Gefühl damit erlischt.
Ich behaupte damit nicht, (und wünsche es auch nicht), daß das Gefühl der Zerrissenheit und Unentscheidbarkeit als Kriterium der bisexuellen Identität gehört, sondern bin der Meinung, daß zur Bisexualität auch solch e Phasen gehören, in denen man sich einem Partner mit Haut und Haaren verschreibt.
Aber das darf doch nicht die Erinnerung auslöschen, daß die Liebe auch mal den Menschen der «anderen Fraktion» gegolten hat. Falls ich morgen den Mann fürs Leben finde, mag mein weiteres Verhalten homosexuell genannt werden, aber allein die Tatsache, daß ich mir beides vorstellen kann, bedingt doch, daß meine Identität nur bisexuell sein kann.
An dieser Stelle vielleicht etwas Theorie:
Kinsey hat eine Skala des sexuellen Verhaltens aufgestellt, die von 0 bis 6 reicht.
Zur Fraktion 0 gehören Menschen, die ausschließlich heterosexuell leben, also nie, nicht und nimmer homosexuelle Wünsche, Phantasien oder Erlebnisse haben/hatten.
Die Fraktion 1 und 2 haben dies gelegentlich oder häufiger,
die Fraktion 3 ist in ihren Wünschen, Phantasien und Erlebnissen in beiden Richtungen (hetero, bzw. homo) ausgewogen,
bei Fraktion 4 und 5 überwiegt das Homosexuelle,
bis schließlich bei Fraktion 6 ausschließlich homosexuelle Wünsche, Phantasien und Erlebnisse zu verzeichnen sind.
Die Fraktionen 0 und 6 sind somit monosexuell, die von 2 bis 5 dagegen bisexuell. Im allgemeinen Sprachgebrauch wie im Selbstverständnis der Betroffenen versteht man aber unter «bi» leider nur die Gruppe 3, während sich die Gruppen 2 und 3 al s hetero definieren und die Gruppen 4 und 5 als schwul/lesbisch.
Es geht mir nicht darum, Schubkästchen zu sortieren oder Etiketten zu verteilen. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß die sorgenzerfurchte Stirn mit dem Problem "bin ich bi/schwul/lesbisch/hetero?" evtl. etwas abgehoben ist. Es kann imm er nur um das aktuelle Verhalten gehen! Und Verhalten unterliegt ständiger Wandlung.
In diesem Sinne: BI-SEIN !
Jürgen