Cyber-Bijou Nr. 9 (Oktober 96)

Inhalt:

  1. Editorial
  2. Sex in den 90ern Immer weniger Bi's und Homos?
  3. IBIS 96 ein persönlicher Rückblick 2
  4. Anders leben Gespräche über das Leben mit Frauen und Männern
  5. Ausgerechnet Hildegard Von Vorzeige-Sandkasten-Lupenrein-Lesben und anderen Heteras
  6. Stiftung Gleitgel-Test


Editorial

Was sind schon zwei Jahre? Wie bitte, gar nix? Oh doch: seit nunmehr zwei Jahren gibt es Bijou, das 'Infoblatt für bisexuelle Kultur', wie im Oktober 1994 noch der Untertitel lautete. Zwei Jahre ein - zugegebenermaßen - schmales Heftchen für bisexuelle Frauen und Männer herauszugeben, mag wenig beeindruckend erscheinen. Und doch sind wir ein bißchen stolz darauf, dies geschafft zu haben. Der LeserInnenkreis nimmt kontinuierlich zu (kürzlich stie& szlig; z.B. die 'EMMA'-Redaktion dazu, indem sie uns ein Austausch-Abo anbot), und wir hören, sofern wir nachfragen, allgemein recht Positives an Rückmeldung. Naja, viel Konkurrenz haben wir ja auch nicht....

Und doch: Wir wünschen uns mehr Reaktionen von euch, die ihr das Heft lest. Positive, aber auch kritische Anmerkungen helfen uns dabei, den weiteren Kurs von 'Bijou' festzulegen. Wer mag, setze sich doch gleich mal hin - dann können wir deine Meinung bereits beim alljährlichen großen Redaktiontreffen Anfang November diskutieren!

Die Bi-Bewegung lebt von ihren Aktivitäten. Nicht die vielen heterosexuell lebenden Menschen werden sich aufraffen, unsere Situation zu verbessern. Das können wir nur selbst tun. Ich denke, ich kann es für alle sagen, die an 'Bijou' mita rbeiten: die Arbeit macht Spaß und erscheint uns nützlich. Manchmal ist es mühsam, manchmal müssen wir uns selbst in den Hintern treten, aber am Ergebnis haben wir Freude.

Hoffentlich geht es euch genauso!

 

Thomas

 


Sex in den 90ern

Immer weniger Bi's und Homos?

Traut man den üblichen Hollywood-Filmen, dann schlüpfen Amerikaner am liebsten gleich nach dem zweiten Bier miteinander zwischen die Kissen: Aufreißen, Spaß haben und dann Adieu.

Pustekuchen! Sex in den Neunziger ist, glaubt man den Autoren von 'Sex in America - A Definite Survey', bieder, vorsichtig und wenig von dem, was die Medien uns als Trends präsentieren. Die Untersuchung der Universität Chikago rüttelt je denfalls heftig an den Glaubenspfeilern moderner Sexapostel.

 

85% aller Männer und Frauen, die sich gerade in einer festen Partnerschaft befanden, hatten demnach mindestens 1 Monat gewartet, ehe sie das erste Mal richtig Hand aneinander legten; 45% gar mehr als ein Jahr. Dr.Edward O. Laumann, einer der Autor en der Studie, glaubt AIDS als einen der Gründe für dieses vorsichtige Herantasten an sexuelle Begegnungen ausgemacht zu haben.

Die Studie enthält noch weitere Überraschungen für jene Moralapostel, die fürchten, jedermann und jedefrau würden unablässig sexuell tätig sein: Durchschnittlich hatten die Befragten einmal pro Woche Sex, und 35% hatt en entweder keinen Sexualpartner oder nur wenige sexuelle Erlebnisse im gesamten vergangenen Jahr.

Für uns besonders wichtig: Statt der oft geschätzten 10% gaben nur 4-5% der Befragten an, schwul, lesbisch oder bisexuell zu sein. Einer von 20 Männern hatte jemals eine sexuelle Begegnung mit einem Mann, und nur 3,8% hatten ein ebensolc hes in den vergangenen zwölf Monaten. Von den Frauen beschrieben sich gar nur 1,7% als bisexuell oder lesbisch!

Nun könnte man denken: Wieder so eine unseriöse Untersuchung! Wer weiß, ob diese Zahlen überhaupt stimmen! Nun, die Studie wurde durchgeführt vom 'National Opinion Research Center' der Universität Chikago, umfaßte 3.432 zufällig ausgewählte AmerikanerInnen aus ganz Nordamerika im Alter zwischen 18 und 59 Jahren. In 90minütigen Interviews wurden 'heikle' Fragen, etwa nach Sexualpraktiken, zusätzlich per anonymem Fragebogen erfaßt. Dr. John Gagnon, einer der Forscher, ist seit vielen Jahren in der Sexualforschung bekannt und selbst bisexuell.

Haben wir uns also bisher so getäuscht? Was ist denn mit den 37% Männern in der weltberühmten Kinsey-Untersuchung, die Ende der vierziger Jahre angaben, "zumindest einige physische (=körperliche, d.Red.) homosexuelle Erlebnisse bis zum Orgasmus zwischen Pubertät und Greisenalter" gehabt zu haben (Kinsey: Das sexuelle Verhalten des Mannes, S.Fischer,1948, S.600)? Alles Irrtum?

Als Prof. Gunther Schmidt, einer der bekanntesten Sexualforscher Deutschlands, vor einiger Zeit seine Untersuchung über Jugendsexualität aus dem Jahre 1970 wiederholte, wunderte auch er sich: Nur 1-2% der Jugendlichen outete sich als bisexuel l, lesbisch oder schwul. 1970 hatten noch 18% der Jungen und 6% der Mädchen homosexuelle Kontakte angegeben. Wie ist dieser Unterschied erklärbar?

Schmidt vermutet zweierlei: Erstens haben Jungen und Mädchen heutzutage mehr Chancen, bereits früh heterosexuelle Kontakte aufzunehmen - es kommt also seltener zu gleichgeschlechtlichen Kontakten "als Ersatz". Zweitens werden sexuelle Erlebni sse mit dem eigenen Geschlecht inzwischen ganz klar als 'schwul' oder 'lesbisch' eingestuft. Und vor dieser Zuordnung scheuen immer noch viele Jugendliche zurück. Motto: "Ist okay, wenn Du es bist - solange ich es nicht bin!"

Es hat also was mit der gesellschaftlichen Situation zu tun, wieviele Menschen bi- oder homosexuell empfinden und es auch ausleben. Wer den Vortrag von Oswald Kolle und die folgenden Anmerkungen im letzten Heft gelesen hat, der weiß: Je nach gese llschaftlicher Situation lebten mehr oder weniger Menschen bisexuell. Im alten Griechenland war Bisexualität bei Männern geradezu die Regel, beim Volk der Sambia in Neu-Guinea mußte jeder Junge - ob er wollte oder nicht - eine mehrjäh rige Phase gleichgeschlechtlicher Kontakte durchleben, ehe er eine Frau heiratete und (gezwungenermaßen) ausschließlich hetero lebte.

Entscheidend ist, daß die meisten Menschen offenbar in der Lage sind, bisexuell zu empfinden. In unserer Gesellschaft aber - und das gilt für das prüde Amerika umso mehr - trauen sich noch immer die meisten nicht, diese Empfindung zuzul assen bzw. auszuleben.

Nach einem festen Prozentsatz Bisexueller oder Homosexueller zu suchen, bringt also immer nur den 'Hardcore'-Anteil hervor. Der Rest wartet eben darauf, daß wir seine/ihre verschütteten 'anderen' Anteile wecken. Je mehr Bi's, Lesben und Schw ule in der Öffentlichkeit sichtbar werden, desto mehr werden letztendlich auch Heteros ihre Lust am anderen Ufer entdecken. Im Augenblick herrscht wohl noch die Schreck'sekunde' vor. Aber keine Angst, irgendwann ändert sich auch das.

 

Thomas

 


IBIS ’96 - ein persönlicher Rückblick (2)

von David Drinkwater, Minnesota/USA

 

David, einer der amerikanischen Teilnehmer am '4.Internationalen bisexuellen Symposium' (IBIS) Ende Mai, schildert in seinem sehr offenen und persönlichen Bericht die Tage in Berlin. In Heft 8 beschrieb er den Einstieg am Freitagabend sowie ein ige Workshops am Samstag. Abends begab er sich dann zur Bi-Fete.

 

Auf der Fete im Ackerkeller gingen mir die Augen über. Es gibt in Deutschland so viele Frauen, die dem Bild meiner Traumfrau entsprechen, daß es mich völlig sprachlos macht. Und auch die deutschen Bi-Männer kommen oft meinem Idealt yp recht nahe. Da muß wohl tief in meiner Seele irgendwo ein Deutscher versteckt sein.

Vor die schwierige Entscheidung gestellt, mit wem ich denn nun flirten sollte, trank ich im Lauf des Abends eine ganze Menge Bier und wäre am Ende denn wohl für größere Intimitaten auch nicht mehr zu gebrauchen gewesen.

Doch bevor mir der Abend völlig entglitt, kam es zu einer äußerst spannenden Unterhaltung mit einer anderen Frau namens Martina über die Interpretation weiblicher Körpersprache beim Flirten. Es war ein sehr lehrreiches Gespr&a uml;ch, und als der Abend schließlich zu Ende ging, erklärte sie mir, "Tja, David, inzwischen hast Du’s zu lange hinausgezögert".

Trotz ausgewachsenem Kater, akutem Schlafmangel und dem niederschmetternden Finale meines Disco-Besuchs brach mit dem neuen Morgen auch ein neuer Tag an, und wäre da nicht unser Gespräch über die Deutung des Körperverhaltens der Fra uen gewesen, ich hatte Martina nicht mehr unter die Augen treten mögen.

Ich hatte die Nacht bei Thomas verbracht und dort mit Andreas geschlafen.Beide kannte ich vom Bi-Sommercamp im vorigen Jahr her (mit 8 Teilnehmern eine reine Männerveranstaltung). Da ich ziemlich betrunken war, war mir der Gedanke ein Greuel, &uum l;berhaupt irgend etwas tun zu müssen, aber als ich nach seinem Orgasmus an seinem ??? Körper eine erogene Zone entdeckte, die auf leichten Druck hin zu orgasmusahnlichen Kontraktionen führte, war ich plötzlich wieder hellwach und fasz iniert. Zum Schlafen bin ich kaum gekommen, zu sehr war mein Körper damit beschäftigt, Haschischpfeifchen, Sex und Alkohol zu verdauen.

Am Sonntag früh schummelte ich mich durch einige Workshops, von denen ich entsprechend wenig behalten habe. Die Diskussion über "Multisexualität" war zwar sehr spannend, aber auch eine ziemliche Herausforderung an mich als &Uum l;bersetzer, da manche Beitrage ins Esoterische abdrifteten und daher nur schwer zusammenzufassen waren. Die Rednerin ihrerseits war recht streitbar und ihre Position ein wenig unklar und widersprüchlich, so das ich nicht nur übersetzen, sondern auch noch diplomatisch vermitteln mußte.

Der Schluß eines Workshops der "Safer Sex Sluts" über den Gebrauch von Safer Sex Toys war lustig, aber leider hatte ich den größten Teil verpaßt. Ein Workshop über die Ethik bisexueller Beziehungen hat mir re lativ wenig gebracht, obwohl der Leiter ein bedeutendesTier in der Bi-Bewegung ist; zum Teil mag das an Kommunikationsproblemen gelegen haben. Das Deutsch des Referenten war nicht überragend und er hatte auch keinen Übersetzer um Hilfe gebeten.< /P>

Dagegen war der letzte Workshop des Tages unter dem Titel "Das Erblühen der Sinne" das reinste Juwel, hauptsachlich weil darin überhaupt nicht gesprochen wurde. Wie meine erste Veranstaltung am Samstag wurde auch dieser Workshop vo n Jürgen Höhn geleitet, doch ging es diesmal nicht um Theorie, sondern um Körper und Seele. Man verband uns allen die Augen, führte uns in einen Raum und setzte uns auf Kissen. Als nächstes bekamen unsere Lippen eine Frucht zu sp& uuml;ren, die wir dann essen durften. Dann erklang am Ohr eines jeden ein Triangel, wir spürten das Fell eines Fuchsschwanzes auf der Haut, wurden gestreichelt und umarmt. All das geschah mit verbundenen Augen und ohne daß dabei geredet wurde.< /P>

Danach legten wir uns hin und nahmen einige Gedanken von Jürgen in uns auf, bis wir dann selbst in der Schlußrunde (meist) kurz über unsere Erlebnisse im Workshop berichten konnten. Ich war erstaunt, wie unterschiedlich die Reaktionen d er einzelnen Leute waren. Manche waren ziemlich verängstigt und kurz davor auszurasten, wahrend andere total im Kopf geblieben sind.

Für mich war es eine ganz wundervolle Erfahrung. Verblüfft stellte ich fest, wieviel mehr Vertrauen ich (zumindest unter Jürgens Leitung) zulassen konnte, wenn meine Augen und mein Mund verschlossen blieben. Aber ich genoß auch die sinnlichen Empfindungen, die die ganzen Dinge in mir auslösten. Es war eine wunderbare Erfahrung, die mich innerlich total geöffnet hat.

Nach dieser schönen Übung fuhr ich nach Hause, um zu duschen und mich ein Weilchen hinzulegen, bevor ich zur Abschlußparty ging, die jedoch bis auf zwei Dinge eine ziemliche Enttäuschung war. Zuerst das Negative. Die DJs spielten m eines Erachtens absolut lausigen Techno (und ich bin durchaus einTechno-Freund) und auch das Publikum war recht sonderbar (was vielleicht auf einer Techno-Fete nicht so sehr überrascht). Außerdem dürfte die Musik einen Großteil der S ymposiumsteilnehmerInnen abgeschreckt haben, so daß von den 500 Frauen und Männern höchstens 50 auf der Disco waren. Und selbst dieses Häufchen schrumpfte bis zu meinem Weggang um 2 Uhr auf 20 zusammen. Da wir nicht als Gruppe da ware n, blieb das Gefühl, die Party habe mit der Konferenz überhaupt nichts tun, und hat für mich einen runden Abschluß völlig zunichte gemacht. Außerdem war ich nach der Erfahrung mit Jürgen emotional viel zu offen fü r die falschen Leute.

Auch einer der Pluspunkte war eher durchwachsen. Eine klare und direkte Absage von Andrea (?) auf meinen Versuch, sie für eine nächtliche Liebelei zugewinnen. Und als ich mich schließlich von ihr verabschiedete, habe ich mich, glaube ic h, so im Wort vergriffen, daß es vielleicht zu einem nachhaltigen Mißverständnis führte. Ich hoffe nicht.

Der andere Pluspunkt war Martina, mit der ich den Abend im wesentlichen schweigend verbrachte. Wir streichelten uns und kuschelten uns aneinander und ignorierten das ganze Tohuwabohu um uns herum.

Meine Verabschiedungsrunde war viel weniger intensiv als erhofft, weil ich mich inmitten des Lärms kaum verständlich machen, jedenfalls selbst die anderen nicht verstehen konnte, und weil nur so wenige von den Leuten da waren, denen ich gerne auf Wiedersehen gesagt hatte.

Insgesamt jedoch war IBIS ein wunderbares Erlebnis, das die Energie in meinem Körper so richtig in Fluß gebracht hat. Ich wünschte die Konferenz hätte eine ganze Woche gedauert. Dann hätte ich viel mehr der zahlreichen tollen Leute besser kennenlernen und mich ausführlicher mit ihnen austauschen können.

Vor allem aber hat die Konferenz mir Zuversicht vermittelt in all das , was die wachsende Bi-Gemeinde noch erreichen und auch mir ganz persönlich bieten kann. Ich freue mich darauf, viele der Menschen wiederzusehen, sei es auf der nächsten We ltkonferenz oder auf einem bundesdeutschen Bi-Treffen. Mein häufigster Abschiedsgruß war "Es war eine tolle Zeit und hoffentlich sehen wir uns wieder".

Es war vielleicht eine der wichtigsten Erfahrungen des Symposiums, mich so weit geöffnet zu haben und danach nicht gleich wieder dicht zu machen.

Nichtsdestoweniger fiel es mir unheimlich schwer, die entstandene Gemeinschaft hinter mir zu lassen. Zu intensiv war das Wochenende gewesen. Ich hatte mich geöffnet, mich in die Konferenz und ihre TeilnehmerInnen verliebt und nun sollte ich einfac h meine Sachen packen und gehen... Als ich meinen Stadtplan aus der Tasche zog und im Koffer verstaute, wurde mir das Herz schwer. Ich wußte, daß ich einen der Orte auf dieser Welt verließ, an dem ich mich wirklich zu Hause fühle. U nd kehrte gleichzeitig an einen anderen solchen Ort zurück, nach Minneapolis in den USA.

 

(Übersetzung: Robin)

 


Anders leben

Gespräche über das Leben mit Frauen und Männern

Wie leben andere Bisexuelle, wie haben sie ihre Identität gefunden? Die vielen Gespräche und Diskussionen auf Bi-Treffen und in den bestehenden Gruppen zeigen, wie groß der Wunsch ist, die ganz persönlichen Erfa hrungen anderer kennenzulernen. Unser Redaktionsmitglied Anja führt in lockerer Folge mit Frauen und Männern Interviews über ihre Lebenssituation, die wir hier abdrucken. Dieses Mal spricht sie mit Elke (36), die seit 5 Jahren Witwe ist, 2 Kinder im Alter von 13 und 17 Jahren - und die seit 4 Jahren mit einer Frau zusammenlebt.

 

Anja: Liebe Elke, mich interessiert, wie es zu diesem Wandel in Deinem Leben gekommen ist.

Elke: Klaus, mein Mann, war tot, ich war mit den Kindern allein und hatte erst einmal kein Interesse an einer neuen Partnerschaft. Ich wollte alleine mein Leben in den Griff bekommen und mußte zum ersten Mal alleine Entscheidungen treffen, da ich noch nie ohne Familie gelebt hatte. Klaus war mein erster Mann, den ich auch gleich mit 18 Jahren geheiratet habe.

Anja: Du bist ja eigentlich sehr schnell in die Beziehung mit Michaela gerutscht.

Elke: Im ersten halben Jahr war da noch der Chef von Klaus, Rainer, der sich sehr intensiv um mich und die Kinder gekümmert hat, so die Beerdigung und den Formalkram organisierte, weil mein Mann im Ausland verstorben ist. Mit diesem Mann hatte ic h dann auch eine sexuelle Beziehung, die für mich sehr befriedigend war. Ich war auf der Suche nach einem Menschen, der mir Halt geben konnte und meine Situation verstand.

Anja: Und wie tauchte dann Michaela auf?

Elke: Durch eine Bekannte vom Sportkursus an der Volkshochschule lernte ich sie kennen. Wir hatten die gleichen Interessen, bezüglich der Freizeitgestaltung, ich fühlte mich von ihr verstanden. Gerade was die Situation der Kinder betraf, die sehr unter dem Tod des Vaters litten, da hat sie sich sehr engagiert und geholfen.

Anja: Durch diese Freundschaft kamt ihr euch dann langsam auch körperlich näher?

Elke: Gleichzeitig gab es da schon eine erotische Komponente in dieser Freundschaft, die mich erstmal völlig verunsichert hat. Da entwickelte sich neben der sexuellen Beziehung zu Rainer eine zärtliche Kuschelbeziehung zu Michaela. Ich habe d ann festgestellt, daß die Sexualität mit Rainer nicht mehr diese Anziehungskraft hatte und die Sexualität mit Michaela angenehmer, stressfreier, wärmer war.

Anja: Hast Du immer sehr offen mit Michaela darüber reden können?

Elke: Ich habe sie immer informiert, wenn ich zu ihm gefahren bin und wir konnten immer frei darüber reden. Sie hat mich nie unter Druck gesetzt, daß ich mich entscheiden müsste, obwohl ihr das nicht leicht gefallen ist. Ich habe sie ni cht im Unklaren über meine Zweifel und Ängste gelassen. Zum Beispiel die Fragen : Wie sag ich es in meiner Familie oder meinen Freunden? Da haben wir sehr lange darüber diskutiert und ich habe es später sehr viel zügiger meinen Le uten erzählt als sie das getan hat.

Anja: In dem ersten Jahr nach Klaus‘ Tod ist für Dich also sehr viel passiert. Du hast Dich in Deinem Leben völlig umgestellt. Von der Ehefrau zur Alleinerziehenden, von der Heterosexualität über die Bisexuelle Lebensform zur Homose xualität. Kannst Du dir vorstellen, daß sich das irgendwann wieder verändert?

Elke: Das kann ich mir im Moment schwer vorstellen, aber ich schließe das nicht aus. Weiß ich, was mir im Leben noch vor die Füße läuft?

Anja: Wie würdest Du Dich in Deinem Leben bezeichnen? Als Hetera, mit momentaner homosexueller Ausrichtung, oder als Lesbe mit heterosexuellen Anteilen oder als Bisexuelle, mit mehr homosexuellen Anteilen?

Elke: Bisher habe ich mich noch nicht mit diesen Definitionen auseinandergesetzt, aber ich identifizere mich als Bisexuelle mit mehr homosexuellen Anteilen, weil die Frauenbeziehungen offener und ehrlicher sind. In der letzten Zeit haben wir immer mehr Frauenpaare kennengelernt und ich habe für mich festgestellt, daß ich mich in dieser Gesellschaft wohler fühle. Heterosexuelle Paare haben ein wesentlich stärker ausgeprägtes geschlechtsspezifisches Rollenverhalten, was mir auf den Nerv geht. Ich habe mich daraus gelöst und möchte mich nicht mehr in diese Rollenklischees stecken lassen.

Anja: Gab oder gibt es für Dich bisexuelle Vorbilder?

Elke: Nein, ich kannte keine Bisexuellen, ich wußte nur, daß Hella von Sinnen lesbisch und Alfred Biolek schwul sind.

Anja: Wie haben Deine Kinder diese rasante Entwicklung aufgenommen? Immerhin war der Vater noch kein Jahr verstorben, da wohnte Michaela schon bei Dir.

Elke: Meine Kinder haben mir sehr früh zu verstehen gegeben, daß sie einen neuen Vater nicht an meiner Seite dulden würden. Nachdem sie Michaela richtig kennengelernt hatten, so nach einem halben Jahr, waren die Kinder nicht abgeneigt, sie in der Familie aufzunehmen. Damals waren die Kinder 11 und 7 Jahre alt.

Anja: Welches Deiner Kinder hat mehr Schwierigkeiten mit dem Thema Homosexualität gehabt, nachdem ihr doch sehr offen mit ihnen darüber geredet hattet?

Elke: Mein Sohn hat ein bißchen länger daran zu knabbern gehabt, da er einerseits große Schwierigkeiten hatte, über andere Formen von Sexualität zu reden, und er sich nach dem Tod des Vaters immer noch sehr an dem vorgelebten Männerbild orientierte. Er fühlte sich dazu verpflichtet, die Männerrolle im Hause zu übernehmen. Heute hat er keine Probleme mehr, auch in der Öffentlichkeit dazu zu stehen, daß seine Mutter in einer lesbischen Beziehung l ebt. Auch meine jüngere Tochter hat ihre Schwierigkeiten mit der Beziehung von uns gehabt. Sie hat zuerst die große Freundin gesehen und dann erst begriffen, daß Michaela nicht nur Partnerin von mir, sondern auch Erziehungsberechtigte war , die sich auch mit den Kindern auseinandersetzte. Diese Konflikte haben sich im Laufe der Pubertät noch verschärft.

Anja: Kannst Du Dir vorstellen, daß sich Deine Kinder auch für eine gleichgeschlechtliche Beziehung entscheiden werden, da sie ja eine solche Möglichkeit vorgelebt bekommen?

Elke: Ja klar kann ich mir das vorstellen und ich habe ihnen schon deutlich gesagt, daß sie bei uns auf keine Schwierigkeiten stoßen werden.

Anja: Ihr wohnt hier in der Nähe von Bremen auf dem Land und ich finde Eure Art und Weise, offen eine lesbische Beziehung zu leben, sehr mutig. Hast Du schon mal Schwierigkeiten damit bei den Nachbarn oder den Kolleginnen gehabt?

Elke: Ich denke mal, die wissen alle, wer hier wohnt, aber es hat uns noch keiner drauf angesprochen. An meinem Arbeitsplatz habe ich mich nur meiner Chefin gegenüber geoutet, ansonsten habe ich meiner Familie sehr schnell reinen Wein eingeschenkt . Der Freundeskreis hat sich so nach und nach aufgelöst, wobei das nicht nur mit meiner Beziehung zu Michaela zu tun hatte, denn schon nach Klaus‘ Tod war eine große Distanz spürbar geworden. Eine verwitwete Frau könnte ja die verheir ateten Männer anfallen.

Anja: Was wünscht Du dir für die Zukunft?

Elke: Ein langes, harmonisches Leben, nicht zu langweilig, mit Michaela. Und das der Alltag nicht so stark in unsere Beziehung einzieht.

Anja: Ich danke Dir für das Gespräch.

 


 

Ausgerechnet Hildegard

Von Vorzeige-Sandkasten-Lupenrein-Lesben und anderen Heteras

 

Hildegard lernte ich 1981 in der Lesbenberatung kennen. Sie war nämlich meine Anleiterin in der 'Coming-Out-Gruppe'. Zwar haben wir uns mittlerweile ein wenig aus den Augen verloren, aber zum Christopher-Street-Day gehen wir immer noch alle zusamm en.

Vorgestern traf ich Hildegard zufällig im Café des Feministischen Frauengesundheitszentrums. "Und? Was macht die Liebe?", eröffnete ich das Gespräch, wie ich meinte, denkbar harmlos. "Ach, du weißt es auch schon?", flüs terte Hildegard unerwartet unsicher und schaute verstockt in ihre Tasse. "Ich finde, man mißt dem ganzen eine viel zu große Bedeutung zu!" Irgendwie sei es letztlich doch egal, mit wem frau ins Bett geht. Dem konnte ich, von Hildegard korrekt geschult, natürlich nur zustimmen. Trotzdem beschlich mich das ungute Gefühl, Hildegard meinte es diesmal ganz anders. Also schwieg ich erstmal und wartete ab. Nach einer etwas peinlichen Pause brach es dann aus ihr heraus: "Es ist gar nicht so, wie du jetzt bestimmt denkst. Er ist total zärtlich, kann zuhören und er wäscht auch regelmäßig ab. Sogar die Töpfe."

"Er?", fragte ich reflexartig nach und glaubte natürlich an einen simplen Hörverstehensfehler. Aber da fiel Hildegard auf der hektischen Suche nach ihren Zigaretten ein niegelnagelneues Pessar aus der Tasche. Wir starrten beide auf das kleine Käppchen, als wäre damit nun alles gesagt. "Du wußtest es also noch gar nicht?", flüsterte Hildegard und stopfte die FFGZ-Gebrauchsanleitung wieder in ihren Beutel. "Er heißt Martin und zuerst wollte ich auch gar nicht. Aber da nn war er so hartnäckig und verständnisvoll und ich war so verwirrt und das hat er alles verstanden und ..." - "... und jetzt bist du hetero!" Irgendwie mußte ich plötzlich lachen. Ausgerechnet Hildegard, die Vorzeige-Sandkasten-Lupen rein-Lesbe!

"Tja", meinte ich, als ich mich wieder eingekriegt hatte, "da wird dann ja wohl bei der nächsten CSD-Demo jemand anders das Transparent tragen müssen. Eigentlich schade. Wir waren wohl doch kein so guter Jahrgang. Monika und Bärbel m&uum l;ssen ja jetzt auch am Straßenrand stehen. Die sind letzten Herbst konvertiert."

"Ich hätte nicht gedacht, daß sogar du so denkst", meinte Hildegard nun wieder gewohnt kämpferisch. "Noch ist die Revolution nicht vollzogen. Wenn wir jetzt nicht zusammenhalten, war der ganze Befreiungskampf umsonst". "Stimmt", gab ich zurück, "wir müssen tatsächlich zusammenhalten. Obwohl ich eigentlich gar nix gegen euch Heteros habe. Nicht mal gegen Rübergemache. Aber auf der CSD-Demo laufen nun mal wir auf dem Kudamm, und ihr steht am Rand. So ist das halt."

"Niemand darf aufgrund seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden" , deklamierte Hildegard und schmiß beim Aufspringen den Rest des Kaffees um. Sie jedenfalls werde mit allen Mitteln für ihr Grundrecht auf Gleichbere chtigung kämpfen. Sprach's und verließ wutschnaubend das Lokal.

Abends hatte ich dann eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. "Weißt du schon das neueste?", kreischt da mein schwuler Freund, "da hat doch vorhin tatsächlich eine Irre namens Hiltrud oder so ähnlich beim CSD-Komittee einen Hetenblock beantragt! Ist das nicht unglaublich?"

 

Klaudia Brunst

 


 

Stiftung Gleitgel-Test

Was waren das noch für Zeiten, als mann mit einem kräftigen Griff in den Vaseline- oder Margarinetopf (in den USA war die Topmarke ‘Crisco’) die nötige Gleitfähigkeit für trockene Glieder herstellen konnte! Dann kam AIDS, genauer gesagt: das HIV, ein winziges Virus, dem nur mit einer dünnen Gummi-Barriere Einhalt geboten werden kann - und schon war’s Essig mit den Fetten. Öle bzw. Fette greifen den Gummi an, und statt Gleiten steht dann Reiß ;en auf dem Programm. Oder Platzen, was aber aufs Gleiche rauskommt.

Nach unserem Kondomtest in Heft 7 liefern wir nun einen kleinen Gleitgeltest nach, den der Kollege Tschajk vom norddeutschen ‘HaJo’ höchstselbst nebst Partner durchführte und den wir hier mit freundlicher Genehmigung nachdrucken.

 

"Seit Du bei diesem Verein mitarbeitest, muß man ja wohl mit allem rechnen!" meinte der hier nicht näher zu beschreibende Herr Ypsilon wenig begeistert zu seiner neuen Rolle als Testperson für vier verschiedene Gleitgele u nd wettete, daß wir letztlich ohnehin beim Altbewährten bleiben würden. (Was ihn allerdings nicht daran hinderte, mit dem nötigen Spaß bei der Sache zu sein...).

 

"Bist Du sicher, daß wir keine Honigsorten testen?"

Test 1+2: ‘Flutschi’ und ‘Flutschi anal’

Fragt mich außer der Tatsache, daß die zweite Variante mehr als doppelt so teuer ist, bitte nicht nach dem Unterschied!

Einmal abgesehen davon, daß es bereits gewisser Überredungskünste bedurfte, meiner besseren Hälfte Produkte dieses Namens aufzudrängen, kann von flutschen keine Rede sein. Auch nicht von einem "saftvollen Ineinandergleite n", wie auf der Tube versprochen. Von der ersten Sekunde an spinnen ‘Flutschi’ und ‘Flutschi anal’ Fäden, und der zitierte Honig-Effekt verschwindet erst mit dem Einziehen in die Haut. In der Zwischenzeit kann man zumindest lebhaft über die Duftnote ‘Ambra’ diskutieren (Ambra ist eine fettige Darmausscheidung des Pottwales, die als Duftstoff verwendet wird. Fazit: Sex mit ‘Flutschi’ bildet!)

Testurteil: Peinlich

 

"Weshalb nehmen wir nicht gleich UHU?"

Test 3: ‘ForPlay Sensual Lubricant’

Zugegeben: ‘ForPlay’ blieb erfreulich lange gleitsicher - Handseifengeruch und leichtes Schäumen als Nebeneffekte läßt man sich ja gerade noch gefallen - aber dann! Während viele Gleitmittel zu schnell einziehen, wird ‘ForPlay’ auf unangenehmste Art und Weise klebrig und bleibt das auch, wahrscheinlich bis in alle Ewigkeiten. Jedenfalls liebe ich Herrn Ypsilon ob seiner Schwäche für Badewannen voller Schaumberge, denn ohne eine Dusche o.ä. in Reichweite muß man sich das Zeug wohl wie Schmutz von der Haut rubbeln. No further comment.

Testurteil: Widerlich

 

"Geil!"

Test 4: ‘Eroticum’

Wer sich, wie wir, nur ca. zwei Wochenenden im Monat sieht, für den wird die gemeinsame Zeit etwas sehr Kostbares. "Ein Hauch von Luxus" ist vielleicht auch das richtige Stichwort für ‘Eroticum’, und das nicht nur, weil die 30ml sündhaft teuer sind. Es bleibt laaaange gleitfähig, fühlt sich an wie Seide und zieht schließlich ein, als wäre nichts gewesen. Und wenn mein Mann nach einer Mischung aus frischem Wasser und Moos riecht, weiß ich, daß ; daran keinerlei Parfümzusätze im Gel beteiligt sind. "Ben pur" eben!

Testurteil: Geil!

 

Soweit der Kieler Praxistest. Natürlich gibt es noch eine Menge namhafter oder -loser ‘Lubircating Jellys’, wie es neudeutsch wohl heißen müßte. Von daher noch einige kleine Ergänzungen.

Von der schweizer Firma ‘Hot Rubber’, die in Deutschland über die Deutsche AIDS Hilfe Kondome und Gleitcreme vertreibt, gibt es ein Gel, welches schlicht ‘Lubricant’ heißt - laut Lexikon ‘Schmiermittel’. Es sticht durch gute und langa nhaltende Schlüpfrigkeit, allerdings auch durch einen penetranten Vanillegeruch heraus, der selbst nach gründlichem Abwaschen noch lange seine Duftmarke hinterläßt.

Selbstverständlich existiert auch noch das bei Schwulen früher hochgelobte ‘KY’, welches sich nach Tuben-Aufschrift besonders für ‘gynäkologische Untersuchungen’ eignet (viel Spaß beim 'untersuchen'....). Es kostet zwar einiges, aber versieht insgesamt sehr gute Dienste bei ‘Untersuchungen’ und ähnlichen eindringlichen Tätigkeiten.

Schließlich sei noch ‘Femilind’ erwähnt, welches vom selben Hersteller wie ‘KY’ stammt (die machen auch diese excellenten Bohnerwachse...). Große Unterschiede zwischen den beiden konnte ich nicht feststellen. Weil ‘Femilind’ jed och meist preiswerter angeboten wird, fällt die Entscheidung entsprechend leicht.

Gut Rutsch!

 

Thomas